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Friedrich der Große in Crailsheim

Jagdgesellschaft mit dem „Schurken von einem Fritz“

Kronprinz Friedrich, 1736, im Alter von 24 Jahren (Gemälde von Antoine Pesne)
Kronprinz Friedrich, 1736, im Alter von 24 Jahren (Gemälde von Antoine Pesne)

1730 besuchte der spätere Friedrich der Große Crailsheim – wenige Tage vor seinem gescheiterten Fluchtversuch

Eines der großen Geschichtsjubiläen, das 2012 mit Ausstellungen, Fernsehsendungen und vielen neuen Büchern gefeiert wird, ist der 300. Geburtstag Friedrich des Großen am 24. Januar 1712. Der preußische Regent gilt als einer der bedeutendsten europäischen Herrscher des 18. Jahrhunderts und darüber hinaus. Am 27. und 28. Juli 1730 weilte der damals 18-jährige Kronprinz Friedrich mit seinem Vater Friedrich Wilhelm I., dem Soldatenkönig, in Crailsheim.

Hintergrund des Besuchs war eine Reise des preußischen Königs durch Süddeutschland. Sie diente der diplomatischen und militärischen Stärkung des preußisch-habsburgischen Bündnisses durch die Gewinnung der kleineren deutschen Länder. Sie beinhaltete aber auch verschiedene Besichtigungen und natürlich eine Vielzahl der zeittypischen höfischen Veranstaltungen, wie Feste, Gastmähler oder Jagdgesellschaften. Selbstverständlich lag auch Ansbach auf der königlichen Reiseroute, residierte doch dort eine der fränkischen Nebenlinien der Hohenzollern. Regierender Markgraf war zu dieser Zeit Carl Wilhelm Friedrich, der später den Beinamen „der wilde Markgraf“ erhielt. Er hatte 1729 als Siebzehnjähriger den Markgrafenthron bestiegen und im gleichen Jahr eine Tochter Friedrich Wilhelms und Schwester Friedrichs, Friederike Louise, geheiratet.

Markgraf Carl Friedrich Wilhelm und seine Frau Friederike Louise, die Schwester Friedrichs, 1729
Markgraf Carl Friedrich Wilhelm und seine Frau Friederike Louise, die Schwester Friedrichs, 1729

Nachdem die 40-köpfige Reisegesellschaft des Soldatenkönigs, darunter der Kronprinz Friedrich, am 15. Juli 1730 Potsdam verlassen hatte, führte der Weg über Leipzig, Altenburg, Coburg, Bamberg und Nürnberg nach Ansbach. Dort traf Friedrich Wilhelm I. mit seinem Gefolge am 22. Juli ein und hielt sich einige Tage in der fränkischen Residenzstadt auf. Zum Abschluss des Besuchs des hohen Verwandten aus Berlin veranstaltete sein Gastgeber, der Markgraf, am 28. Juli eine große Hirschjagd in einem seiner bevorzugten Jagdreviere, der Hardt südlich von Ingersheim, in der Nähe des späteren Alexandersreut.

Schon am Vortag der Jagd, am 27. Juli, begab sich der markgräfliche Hof mit seinen Gästen nach Crailsheim. Über die Fahrt von Ansbach nach Crailsheim und den dortigen Aufenthalt berichtet der kaiserliche Gesandte am Berliner Hof, Reichsgraf Friedrich Heinrich von Seckendorff, der ständige Reisebegleiter des preußischen Königs, in seinem Reisejournal. Die Anreise erfolgte über Feuchtwangen, „alwo die mittagsmahlzeit gleich nach der frau marggräffin ankunfft gegen 12 uhr gehalten wurde. Man hielte sich aber nicht lang bey der Tafel auff, sondern sezte gegen 2 uhr die reiß nach Crailsheim fort, alwo man abendts gegen 5 uhr ankommen“.

Über den ersten Abend in Crailsheim liefert Seckendorff keine weiteren Auskünfte. Sicherlich speisten und logierten die hohen Gäste im Crailsheimer Schloss. Am nächsten Morgen ging es zur Jagd in die Ingersheimer Hardt. Bei Seckendorff lesen wir: „Den 28. July früh gegen 8 uhr fuhr man zu der eine stunde von Crailsheim eingerichteten jagd. Ihro königliche mayestet funden die anstalten bey der jägerey sehr gut und ordentlich; und weil das wild durch einen großen teich aus dem wald vor dem schirm lauffen mußte, so war in der that die jagd sehr annehmlich, wäre aber noch ergötzlicher gewesen, wo nicht ein starckes regenwetter die lust vermindert.“

Trotz des schlechten Wetters war die erlegte Strecke einer hochfürstlichen Jagd angemessen: „Es waren über 200 stück wildpret und darbey über 150 stück […] sehr gute hirsche. Ihro königliche mayestet wollten aber nicht gestatten, daß alles getödet wurde, sondern nachdem 92 der besten hirsche erlegt, befahlen sie ihren eigenen bedienten, die tücher nieder zu laßen, wordurch der rest des wildprets entlauffen können.“

Beispiel einer markgräflichen Hirschjagd (Kupferstich von Chr. Daniel Henning)
Beispiel einer markgräflichen Hirschjagd (Kupferstich von Chr. Daniel Henning)

Seckendorffs Schilderung gibt einen Einblick in den Ablauf einer höfischen Jagd: Die Hirsche wurden in einer Treibjagd auf einem weitläufigen Jagdplatz zusammengetrieben, der umhegt und mit „Tüchern“ abgezäunt war. Die einzige Öffnung in diesem abgeschlossenen Bezirk wurde von Jagdbediensteten und Hunden bewacht, so dass kein Hirsch mehr entweichen konnte. Inmitten dieses Bezirks standen die offenen Zelte des markgräflichen Jagdherrn und seiner Gäste. Von dort aus wurde das eingefangene Rotwild erlegt, beobachtet von den interessierten Blicken der anwesenden Hofgesellschaft. Nach Beendigung der Crailsheimer Jagd wurde noch auf dem Festplatz in Zelten gespeist, wobei „ihro mayestet sich sehr frölich bezeiget“. Anschließend reisten der preußische König und sein Gefolge weiter nach Triesdorf.

Jagen gehörte zu den wenigen Seiten des höfischen Lebens, für die sich Friedrich Wilhelm I. begeisterte. Ansonsten konnte er dem höfischen Zeremoniell und seinen Vergnügungen nichts abgewinnen. Der Soldatenkönig gilt als der Inbegriff der sog. preußischen Tugenden: Ordnung, Fleiß, absolute Sparsamkeit, Selbstbeschränkung und Disziplin. Leidenschaft entwickelte er allein für alles Militärische. Und nach seinem Vorbild sollte auch der künftige Herrscher, Kronprinz Friedrich, geformt werden.

Doch Friedrich entsprach nicht den Vorstellungen des Vaters. Anstelle von Uniformen („Sterbekittel“) und Jagd begeisterte er sich für Musik, Theater, französische Romane und Philosophie – alles Dinge, die der Vater für unnötig, ja schädlich hielt. Mit immer rigoroseren Erziehungsmethoden versuchte der Soldatenkönig, den „Flötenspieler und Gecken“ auf den nach seiner Ansicht richtigen Weg zu lenken. Zwischen Friedrich Wilhelm und dem Kronprinzen entwickelte sich ein Vater-Sohn-Konflikt, der wegen der massiven körperlichen und seelischen Gewalt, die der Vater ausübte, seinesgleichen sucht.

Gescheiterte Flucht Friedrichs am 4.8.1730 in Steinsfurt (Holzstich von Adolph Menzel)
Gescheiterte Flucht Friedrichs am 4.8.1730 in Steinsfurt (Holzstich von Adolph Menzel)

Der streng geregelte Tagesablauf, die rohen Gewaltausbrüche des Vaters und die von ihm erfahrenen Demütigungen stürzten Friedrich „in die größte Verzweiflung“. Er suchte nach einem Weg, sich „aus der grausamen Sklaverei“ zu befreien. Seit 1728 gab es wiederholt Gerüchte aus dem Umfeld des preußischen Hofes, der Kronprinz plane eine Flucht nach Frankreich oder England. Seit dem Winter 1729/30 gibt es rückblickend konkrete Hinweise auf entsprechende Vorbereitungen Friedrichs.

Eine gute Chance, seine Flucht zu verwirklichen, bot sich ihm auf der Reise durch Süddeutschland, führte sie doch in die Nähe der französischen Grenze. So dürfte sich Friedrich während seines Crailsheimer Aufenthalts innerlich sicher mehr mit seinen Fluchtplänen beschäftigt haben als mit der Stadt oder der ohnehin ungeliebten Jagd. Genau eine Woche nach der Abreise aus Crailsheim ergriff er dann die Gelegenheit: In der Nacht vom 4. auf den 5. August 1730 nächtigte der königliche Tross in zwei Scheunen in Steinsfurt (heute Sinsheim-Steinsfurt). Friedrich befahl seinem Pagen für 3 Uhr zwei Pferde bereit zu stellen. Als Friedrich mitten in der Nacht aufstand und sich ankleidete, blieb das nicht unentdeckt. Friedrichs Erzieher Oberstleutnant von Rochow und andere Offiziere umringten den Kronprinzen, hinderten ihn, sich aufs Pferd zu schwingen, und „zwangen ihn, der sich wie ein Verzweifelter wehrte, mit ihnen zur Scheune zurückzukehren“. Noch bevor die Flucht richtig begonnen hatte, war sie schon zu Ende.

Hinrichtung Kattes in Küstrin (Kupferstich unbek. Künstler)
Hinrichtung Kattes in Küstrin (Kupferstich unbek. Künstler)

Das Strafgericht des Vaters gegen „den Schurken von einem Fritz“ war furchtbar: Er wurde zu Festungshaft in Küstrin verurteilt und verlor (vorübergehend) seinen Status als Prinz. Noch schlimmer traf es seinen Freund, Mitwisser und Fluchthelfer Hans Hermann Katte. Der Leutnant im Kürassierregiment Gens d’Armes wurde wegen Fahnenflucht zum Tode verurteilt und am 6. November 1730 in Küstrin hingerichtet. Friedrich Wilhelm zwang seinen Sohn, die Exekution des Freundes von einem Fenster aus mit zu verfolgen.

Der Fluchtversuch des preußischen Kronprinzen war Gesprächsthema in ganz Europa. Sicherlich nahm man auch in Crailsheim davon Notiz, insbesondere da Friedrich und sein Vater ja wenige Tage zuvor in der Stadt gewesen waren. An die großen Jagden der Markgrafen auf der Ingersheimer Hardt erinnerte übrigens bis Ende des 19. Jahrhunderts eine steinerne Pyramide in der Nähe des späteren Alexandersreut.


Erschienen im Hohenloher Tagblatt vom 28. Juli 2012

Autor Folker Förtsch