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Reichstagsabgeordneter Hans Sachs

Ein Crailsheimer auf der Bühne der Reichspolitik

Hans Sachs (1874-1947)
Hans Sachs (1874-1947)

Der Nachlaß des Geheimrats und Reichstagsabgeordneten Hans Sachs (1874-1947) wird an die Stadt übergeben

Es gibt nicht viele Städte, deren Archive die Nachlaßakten einer bundes- oder (vor 1945) reichspolitisch bedeutenden Persönlichkeit beherbergen. In der Regel finden sich Unterlagen dieser Art in den großen Staats- und Landesarchiven. Die Stadt Crailsheim gehört in Kürze in die Reihe dieser Städte. Am 10. Mai wird im Rahmen einer öffentlichen Veranstaltung der Nachlaß des preußischen Geheimrats und fränkischen Reichstagsabgeordneten Hans Sachs der Stadt übergeben werden.

Wer war dieser Hans Sachs, der am 28. November 1874 als Sohn des Stadtschultheißen und späteren Landtagsabgeordneten Leonhard Sachs in Crailsheim geboren wurde und am 5. August 1947 in seinem Haus in der Parkstraße 6 verstarb? Worin lag die politische Bedeutung dieses Mannes, die seinen Nachlaß weit über die Grenzen Crailsheims hinaus für die historische Forschung zur Geschichte der Endphase des Wilhelminischen Kaiserreichs und vor allem der Weimarer Republik so wichtig erscheinen läßt?

Hans Sachs als Student in Tübingen
Hans Sachs als Student in Tübingen

Der berufliche und politische Werdegang Hans Sachs’ folgte keineswegs einer kontinuierlichen Linie. Es lassen sich vielmehr eine Reihe von Brüchen erkennen. Erste berufliche Station Sachs’ war die Redaktion der „Nationalzeitung“ in Berlin, dem Hauptorgan der nationalliberalen Partei.

Nach Abschluß seines Studiums der Rechts- und Staatswissenschaften in Tübingen, Leipzig und Berlin war er dort ab 1901 zunächst als einfacher Berichterstatter und später als Leiter des Ressorts Innenpolitik tätig. In dieser Funktion pflegte er enge Kontakte zu führenden Partei- und Verwaltungskreisen in der Reichshauptstadt Berlin.

Überliefert ist aus dieser Zeit insbesondere der Briefwechsel Sachs’ mit Karl Helfferich, dem späteren Vorstandsmitglied der Deutschen Bank, Staatssekretär und deutschnationalen Parteiführer. Hauptgegenstand des Briefwechsels ist die Agitation gegen den kolonialkritischen Kurs des Zentrumspolitikers Matthias Erzberger im Reichstag, es geht aber auch um die Ambitionen Sachs’ auf einen Wechsel ins Reichskolonialamt.

1906 erreichte Hans Sachs sein Ziel: Er wechselte als Pressereferent in die Kolonialabteilung des Auswärtigen Amtes, wie die offizielle Bezeichnung seiner Dienststelle lautete. 1909 wurde er zum Regierungsrat befördert und im März 1918 erhielt er sein Patent als Kaiserlicher Geheimer Regierungsrat. Die Karriere Sachs’ in der Wilhelminischen Reichsverwaltung erfuhr ihr abruptes Ende durch den für das Deutsche Reich ungünstigen Ausgang des Krieges, in dessen Verlauf Sachs in ehrenamtlicher Funktion bei einer Zensurabteilung des Oberkommandos eingesetzt war. Infolge des Versailler Vertrags verlor Deutschland seine Kolonien, das Kolonialamt seine Existenzberechtigung und Geheimrat Sachs 1920 seine Stelle. Zuvor hatte er noch als ständiger Vertreter des Reichskolonialamts bei der Nationalversammlung in Weimar den Abgesang auf die deutsche Kolonial- und Weltmachtspolitik hautnah miterlebt. Seine Eindrücke und Beobachtungen hielt Sachs in privaten Tagebuchaufzeichungen (Weimarer Tagebuch) fest. In ihnen gibt er ein fraglos subjektiv gefärbtes, dennoch sehr interessantes Bild der herrschenden Atmosphäre bei den Beratungen in Weimar, angereichert mit nicht selten süffisanten Kurzcharakteristiken der handelnden Personen.

Mit seinem Karriereende in der Kolonialverwaltung wandte sich Sachs seinem zweiten Betä-tigungsfeld, der Politik, zu, nicht ganz aus freien Stücken, aber auch nicht unvorbereitet oder ohne Ehrgeiz. Spätestens seit seiner Anstellung bei der „Nationalzeitung“, wahrscheinlich aber schon früher, war Hans Sachs parteipolitisch engagiert. Er war Parteigänger der Nationalliberalen (in Württemberg: Deutschen) Partei, einer Partei, die als „rechter“ Flügel aus der Spaltung der liberalen Bewegung in den 1860/70er Jahren hervorgegangen war. Sie stand hinter der Bismarckschen Reichsgründung, unterstützte in den zentralen Fragen den Kurs der Reichsregierung und zählte zu den staatstragenden Parteien des Wilhelminischen Deutsch-land. Daß Hans Sachs durch seine politischen Fähigkeiten und seine Stellung bereits vor 1918/19 zu den prominenteren Mitgliedern dieser Partei gerechnet wurde, beweisen die (zunächst erfolglosen) Anfragen mehrerer Wahlkreise, er möge sich als Reichstags-Kandidat zur Verfügung stellen. Zweimal, 1911 und 1917, kamen diesbezügliche Wünsche auch von der Ortsgruppe Crailsheim der Deutschen Partei, deren Mitglied Sachs war und für die er seit 1910 - meist im Café Joos in der Wilhelmstraße - politische Vorträge über die Lage der Reichspolitik hielt.

Die Niederlage im Ersten Weltkrieg und der Zusammenbruch des Kaiserreiches bedeutete für Hans Sachs wie auch für das nationale Deutschland insgesamt einen tiefen Schock. Viele der Parteifreunde Sachs’ suchten in dieser Umbruchzeit ihre politische Zukunft in der sich im November 1918 konstituierenden Deutschen Demokratischen Partei (DDP), die einen ausgesprochen linksliberalen Kurs einschlug und uneingeschränkt auf dem Boden der neuen staatlichen und gesellschaftlichen Ordnung stand.
Ihr gegenüber bildete sich aus den Resten überzeugter Nationalliberaler, die die Wende zum demokratisch-republikanischen System nicht mitmachen wollten, die Deutsche Volkspartei (DVP) unter der Führung Gustav Stresemanns. Auch Hans Sachs, der mit Stresemann seit 1917 in näherem Kontakt stand, schloß sich ihr an. Von Beginn an befand sich Sachs im engsten Führungszirkel der DVP. So saß er etwa im Zentralvorstand und später im Geschäftsführenden Reichsausschuß der Partei und er war Mitglied in weiteren wichtigen Gremien, teil-weise in der Funktion als Vorsitzender. Sachs wird in der DVP aber auch mit der Sonderauf-gabe betraut, die Parteiorganisationen in Württemberg und Bayern aufzubauen, eine als besonders schwierig eingeschätzte Aufgabe, da sich gerade in Süddeutschland fast alle früheren Nationalliberalen der DDP angeschlossen hatten. Sachs war dennoch erfolgreich und wurde damit zu einem der Gründungsväter der DVP in Bayern und Württemberg, In Baden-Württemberg existiert diese Gruppierung heute noch als Teil der F.D.P.. 1920 kandidierte Sachs bei den Reichstagswahlen als Spitzenkandidat der Deutschen Volkspartei im Wahlkreis Franken-Nürnberg und erzielte einen Achtungserfolg.

Die politische Verbindung Stresemann-Sachs hielt nicht sehr lange an. Sie endete in einem Zerwürfnis. Auslöser war die Haltung Stresemanns im sogenannten Ruhrkampf. Weil Deutschland mit seinen Reparationszahlungen, die der Versailler Vertrag festgelegt hatte, zurückgeblieben war, besetzten im Januar 1923 französische und belgische Truppen das Ruhrgebiet. Die deutsche Regierung reagierte mit der Ausrufung des passiven Widerstands, eine Politik, die zunächst von allen Parteien gestützt wurde. Nach acht Monaten mußte die Reichsregierung aber erkennen, daß sich der passive Widerstand nicht weiter fortführen ließ. In seinem Gefolge war es zu massiven Produktionsausfällen und Versorgungsengpässen mit Hungerdemonstrationen und Plünderungen gekommen, gleichzeitig hatte die Inflation astronomische Ausmaße erreicht. Vor dem Hintergrund dieser nationalen Krise bildete sich in Berlin das Kabinett der „Großen Koalition“ mit Beteiligung sowohl der SPD als auch der DVP (dazu DDP und katholisches Zentrum). Die neue Regierung unter Reichskanzler Stresemann ver-kündete am 26. September 1923 das Ende des passiven Widerstands und leitete eine Währungsreform ein.

Parteitag der Nationalliberalen Landespartei Bayerns 1925 in Ansbach (Hans Sachs in der ersten  Reihe unter dem Baum, etwas erhöht)
Parteitag der Nationalliberalen Landespartei Bayerns 1925 in Ansbach (Hans Sachs in der ersten Reihe unter dem Baum, etwas erhöht)

Sachs und mit ihm nicht wenige Parteimitglieder und -anhänger der DVP waren nicht bereit, die „Linkswende“ Stresemanns mitzumachen. Am 23. September, also schon drei Tage vor dem offiziellen Ende des „Ruhrkampfes“ trat der DVP-Landesverband Bayern unter Führung Sachs nach einstimmigem Vorstandsbeschluß aus der Reichspartei aus und konstituierte sich als Nationalliberale Landespartei Bayerns (NLLP) neu. Für diese Partei, die zunächst selbständig und ab 1927 als Teil der Deutschnationalen Volkspartei agierte, gewann Hans Sachs in den Jahren 1924 bis 1930 dreimal das Reichstagsmandat für den Wahlkreis 26 (Franken-Nürnberg).
Im Reichstag gehörte Sachs einer Reihe wichtiger Ausschüsse an, so war er unter anderem Mitglied des auswärtigen Ausschusses. Auf seine Initiative gründete sich 1925 eine interfraktionelle koloniale Vereinigung des Reichstags.

Aber auch das Projekt Nationalliberale Landespartei scheiterte. Auseinandersetzungen mit den Deutschnationalen, interne Richtungs- und Machtkämpfe sowie der strukturelle Mangel der Partei an personellen Kräften und finanziellen Mitteln führten am 1. Februar 1931 zur Auflö-sung der NLLP. Bereits im Jahr zuvor hatte Sachs auf eine Wiederwahl in den Reichstag verzichtet. Sachs zog sich in der Folge offensichtlich aus der vorderen Linie der Politik zurück. Über politische Tätigkeiten in dieser Zeit liegen jedenfalls keine Informationen vor.

Bei der Pseudo-Reichstagswahl vom 12. November 1933, also schon während des „Dritten Reiches“, taucht Hans Sachs auf der Reichstagsliste der „nationalsozialistischen Einheits-front“ auf - in Anerkennung seiner geleisteten herausragenden „vaterländischen Tätigkeit“ bis 1930. Obwohl Sachs in einem Brief an den Crailsheimer Bürgermeister Fröhlich die Bedeutung, die er selbst dieser Kandidatur beimaß, heruntersetzte („Ich legte aber nicht den gerings-ten Wert mehr darauf, nochmals gewählt zu werden...“), war er doch sehr verärgert, als er nach der Wahl als Abgeordneter keine Berücksichtigung fand.

Familientreffen mit Hans Sachs in Schmalfelden, ca. 1935
Familientreffen mit Hans Sachs in Schmalfelden, ca. 1935

In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage nach dem Verhältnis Sachs’ zum aufkommenden und ab 1933 regierenden Nationalsozialismus. Es scheint eine durchaus ambivalente Haltung gewesen zu sein. So führte Sachs etwa den Wahlkampf 1924 mit der Zielsetzung „Erstürmung der völkischen Hochburgen“ in Franken und in seinem privaten Tagebuch von 1934 bis 1939 finden sich eine Reihe regimekritischer Äußerungen. So warf er einem führenden Nationalsozialisten in Crailsheim „Kuhstall-Byzantinismus“ vor und machte sich über verschiedene Aspekte der „völkischen Erneuerung“ lustig (z.B. über die gewaltige Zunahme der Geburtenziffer unehelicher Kinder in Nürnberg neun Monate nach dem Reichsparteitag der NSDAP 1933). Er kritisierte aber auch die Einschränkung der Meinungs- und Pressefreiheit und ließ sich 1934 für die Nazis kompromittierendes Material zum österreichischen „Braunbuch“ übermitteln („Manches Unglaubliche!“).

Auf der anderen Seite war Sachs von der „nationalen Erneuerung“ unter dem Hitlerregime sicherlich stark beeindruckt. In mehreren Äußerungen stellte er sich neben die Nationalsozialisten in die „Frontlinie des vaterländischen Kampfes gegen Rot und Schwarz“. Auch seine Kandidatur auf der NS-Reichsliste 1933 spricht eine deutliche Sprache. Sachs sah seine 1918 formulierte Hoffnung auf die „nationale Wiedergeburt“ Deutschlands, auf die Wiedergewinnung der deutschen Weltmachtstellung („Alles für Deutschland!“) in der Politik der National-sozialisten verwirklicht.
Aber es gab auch noch andere Anknüpfungspunkte an den Nationalsozialismus. In seiner resümierenden Schlußansprache anläßlich der Auflösung der Nationalliberalen Partei findet sich folgende Passage: „Wenn ich heute an so Manches zurückdenke, was vor zehn Jahren und länger war, z.B. an meinen leidenschaftlichen Kampf gegen das Überhandnehmen fremdstämmiger Elemente in Deutschland, dann muß ich oft lächeln, wenn ich sehe, wie heute so viele Gedanken als nationalsozialistisches Originalgut von Millionen bestaunt und bejubelt werden, die wir einst, lange vor Adolf Hitler, ins Volk getragen haben“. Sachs spricht hier beispielsweise auf einen Artikel an, der im April 1920 in der „Nationalliberalen Correspondenz“ erschienen war, und der möglicherweise von Sachs selbst stammt. In übelster Weise wird dort gegen jüdische Zuwanderer aus Osteuropa polemisiert.

Mit diesen Vorstellungen im Dunstkreis von Antisemitismus und übersteigertem Nationalgefühl stand Hans Sachs im nationalen Bürgertum des Kaiserreichs und der Weimarer Republik keineswegs alleine da, im Gegenteil: Sachs kann als Repräsentant eines bestimmten Typus des Nationalliberalen dieser Jahre gelten, ein Typus, dessen Wurzeln bis in die Bismarckära zurückreichen und für den das Liberale weitgehend bedeutungslos, der Nationalismus aber zur beinahe alleinigen Grundlage politischen Handelns wurde. Der Übergang zu völkischrassistischem Gedankengut der extremen Rechten war dabei nicht selten fließend.
Dies am Fall einer Einzelbiographie in umfassender Form dokumentieren zu können, darin liegt sicherlich auch die historische Bedeutung des Nachlasses Sachs.

Das berufliche und politische Leben Hans Sachs’ spielte sich - wie gesehen - nur am Rande in Crailsheim ab, es hatte seine Schwerpunkte in Berlin und Nürnberg. Dennoch blieb Hans Sachs seiner Geburts- und Heimatstadt zeit seines Lebens eng verbunden. Crailsheim war neben Berlin nicht nur häufig genutzter Wohnsitz, Sachs setzte die Stadt testamentarisch auch als Erbin seines Vermögens ein, in der Hauptsache bestehend aus dem Gebäude Parkstraße 6 (heute Kindergarten) mit anschließenden Hofgärten, sowie einem Baumgarten in der Schießbergstraße. Sachs verband die Erbeinsetzung mit der Auflage, daß die Stadt dieses Vermögen und den daraus resultierenden Ertrag ausschließlich für die Einrichtung eines „Fränkisch-Hohenloh’schen Heimatmuseums Crailsheim“ verwenden dürfe.
Den schriftlichen Nachlaß, den Sachs zur Vernichtung bestimmt hatte, rettete sein als Testamentsvollstrecker eingesetzter Freund, Kreisbaumeister Weick. Ihm, sowie dem späteren Verwalter des Nachlasses Matthias Klotz und den Familien Dorsch und Frank, die weiteres Material aus der Hinterlassenschaft Sachs’ beisteuerten, ist es zu verdanken, daß eine umfang-reiche Sammlung historisch hochbedeutsamer Dokumente aus allen Phasen des Wirkens Hans Sachs’ erhalten blieb. Sie sind ab dem 10. Mai 2000 für alle Geschichtsinteressierten und -forschenden im Stadtarchiv Crailsheim zugänglich.


Erschienen im Hohenloher Tagblatt vom 6. Mai 2000

Autor Folker Förtsch