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Wiederaufbau Crailsheims nach 1945

Auferstanden aus Ruinen …

Es gibt wahrscheinlich keinen gravierenderen Einschnitt in der Crailsheimer Stadtgeschichte als die Kriegszerstörung 1945.

Kriegszerstörtes Crailsheim, 1945
Kriegszerstörtes Crailsheim, 1945

Das Ausmaß des Desasters ist schon des Öfteren beschrieben worden: Von 1799 Gebäuden in der Stadt Crailsheim waren im April 1945 1152 von Kriegseinwirkungen betroffen. 444 davon waren total zerstört, 192 schwer, 77 mittelschwer und 439 leichter beschädigt. Zwei Drittel der Häuser in Crailsheim waren demnach nicht mehr oder nur noch eingeschränkt für Wohnzwecke nutzbar. Zum Vergleich: Selbst württembergische Großstädte, die unter schweren Luftangriffen und Bodenkämpfen gelitten hatten, wie Stuttgart (35%) oder Heilbronn (57%) blieben in dieser traurigen Bilanz deutlich zurück. Am verheerendsten war die Crailsheimer Innenstadt getroffen. Hier lag der Zerstörungsgrad bei ca. 95%. „Die Innenstadt bot das Bild einer einzigen Ruine“. So beschrieben die beiden für den Wiederaufbau hauptverantwortlichen Planer, Baurat Gustav Schleicher und Dipl.-Ing. Ludwig Schweizer, rückblickend die Situation in Crailsheim.

Beginn des Wiederaufbaus in der Crailsheimer Innenstadt, 1946
Beginn des Wiederaufbaus in der Crailsheimer Innenstadt, 1946

Die Ereignisse der letzten Kriegswochen hatten Tausende von Crailsheimerinnen und Crailsheimern obdachlos gemacht. Sie suchten zunächst provisorisch Unterschlupf in den umliegenden Dörfern, bei Verwandten und Bekannten, und indem man in den stehen gebliebenen Häusern enger zusammenrückte. Für diese Menschen musste neuer Wohnraum geschaffen werden. Die eklatante Wohnungsnot wurde weiter verschärft durch den im Oktober 1945 einsetzenden Zustrom von Flüchtlingen und Vertriebenen. Obwohl Crailsheim aufgrund seiner Zerstörung nicht die volle Quote von Heimatvertriebenen aufnehmen musste, belief sich ihre Zahl im Jahr 1950 schon auf über 1200 Personen. Das war ein Anteil von immerhin 12% an der Gesamteinwohnerzahl. Dieser Anteil stieg in den Folgejahren auf über 20% an.

Ein weiteres großes Problem war die Wiederherstellung der öffentlichen Infrastruktur, angefangen bei Straßen und Schienenwegen über die Versorgungseinrichtungen von Gas, Strom und Wasser bis zu den Gebäuden der öffentlichen Verwaltung und den Schulen. Die Stadt und ihre Verantwortlichen standen vor einer Aufgabe wahrhaft gigantischen Ausmaßes: Der Wiederaufbau beinahe einer ganzen Stadt musste bewerkstelligt werden. Aus der Sicht der betroffenen Menschen ging dieser Wiederaufbau zunächst sehr schleppend voran. Ende 1945 waren erst 13 neue Wohnungen fertig gestellt. Die Zahlen für 1946 (mit 50) und 1947 (mit 30 neuen Wohnungen) waren ebenfalls noch recht bescheiden. Erst 1948 und vor allem 1949 setzte mit 92 bzw. 183 bezugsfertigen Wohneinheiten ein größerer Bauboom ein.

Trümmerverwertungsanstalt auf dem Marktplatz
Trümmerverwertungsanstalt auf dem Marktplatz

Für diesen nur langsam in Gang kommenden Wiederaufbau gab es ein Reihe von Ursachen: Ein wesentlicher Grund lag im katastrophalen Baustoffmangel. In einer Bürgerversammlung im März 1947 machte Regierungsbaumeister Stoll folgende Rechnung auf: Der Wiederaufbau würde bei den aktuellen Liefermengen an Dachziegeln 22 Jahre, bei Zement 44, bei Kalk 52, bei Holz 93, bei Backsteinen 130 und bei Eisen, sage und schreibe, 504 Jahre in Anspruch nehmen. Erst mit der Währungsreform von 1948 und der Aufhebung der Bewirtschaftung für fast alle Baumate-rialien kam mehr Dynamik in den Wiederaufbau.

Eine weitere zeitraubende Notwendigkeit war die Enttrümmerung der zerstörten Innenstadt. Aus finanziellen Gründung und um von Baumateriallieferungen unabhängiger zu werden, schaffte man in Crailsheim den Trümmerschutt nicht wie andernorts vor die Stadt, um ihn dort abzulagern, sondern die Trümmer wurden Straße für Straße, Grundstück für Grundstück abgefahren und einer sog. Trümmerverwertung zugeführt. Im Bereich des Rathauses richtete man dazu eine entsprechende Werkstätte ein, in der der Schutt zerstoßen und zermahlen und daraus neue Steine und Betonsplitt gewonnen wurden. Diese Trümmersteine bildeten für längere Zeit den wichtigsten Baustoff für den Wiederaufbau Crailsheims. Fünf Jahre – von Mitte 1946 bis Mitte 1951 – nahm die Trümmerverwertung in Anspruch. Nach einer vorläufigen Bilanz wurden über 110.000 Kubikmeter Schutt abgeräumt und daraus knapp 3,5 Millionen neue Steine gefertigt.

Die eigentliche Wiederaufbauplanung begann im Januar 1946 mit der Einrichtung eines „Planungsbüros für den Wiederaufbau“, dem sog. Wiederaufbauamt, das zunächst im Fliegerhorst untergebracht war. Unter der Leitung von Regierungsbaurat Gustav Schleicher arbeiteten dort Privatarchitekten auf Honorarbasis, die vom Innenministerium bezahlt wurden. Neben Regierungsbaumeister Stoll ist hier vor allem Dipl.-Ing. Ludwig Schweizer zu nennen. Ihnen wie auch den Verantwortlichen der Stadtverwaltung war die Bedeutung der Aufgabe bewusst: Das Ergebnis ihrer Arbeit würde das Gesicht Crailsheims „in den nächsten paar hundert Jahren“ bestimmen.

Modell für den Wiederaufbau
Modell für den Wiederaufbau

Von Anfang an war klar, dass die neue Stadt keine Kopie des zerstörten Alt-Crailsheim sein konnte, einer im Kern mittelalterlichen Stadt mit schmalen Gassen und dicht zusammengerückten Häusergruppen. Dem Aufbau sollte eine vollständige Neuplanung vorausgehen. Diese zielte auf ein neues und moderneres Erscheinungsbild der Stadt. Nicht die Reminiszenz an das historische Crailsheim war leitender Gedanke bei der Wiederaufbauplanung, sondern die zeitgemäßen Anforderungen an Zweckmäßigkeit und baulicher Klarheit. Das neue Crailsheim sollte moderner, aufgelockerter und heller sein.

Der Wiederaufbau orientierte sich dabei an folgenden zentralen Grundsätzen:

  • Wichtige Durchgangsstraßen wurden – schon im Hinblick auf die Erfordernisse des wachsenden Verkehrs – verbreitert, neue geradlinige Straßenzüge in zuvor eng verwinkelten Quartieren geschaffen. Ein Beispiel ist die heutige Adam-Weiß-Straße.
  • Die Plätze der Innenstadt, insbesondere der Markt- und der Schweinemarktplatz, erfuhren eine deutliche Vergrößerung.
  • Von der Nutzung her sollte Handels- und Gewerbebetrieben in der Innenstadt der Vorrang eingeräumt werden, während reine Wohngebäude und die noch vorhandenen landwirtschaftlichen Betriebe an den Stadtrand verlagert wurden.
  • Geplant wurde ein Grüngürtel, der die gesamte Innenstadt umschloss.
  • Architektonisch strebte man eine „optische Ganzheitlichkeit“ durch Reihung gleicher Formen an. Hierher gehört besonders das Motiv der Arkaden im Bereich des Marktplatzes und der Langen Straße, ein in Crailsheim völlig neues bauliches Element. Die weitreichenden Vorstellungen vor allem Schweizers wurden hier jedoch nur teilweise verwirklicht.

Die ursprünglichen Planungen wurden in Einzelheiten immer wieder überarbeitet und verändert. Ursache war nicht selten der Widerspruch, der sich in der Bevölkerung und im Gemeinderat gegen einzelne Elemente der Neugestaltung regte. Dennoch wurden die Leitlinien der Wiederaufbauplanung von den Verantwortlich der Stadt ganz überwiegend positiv gesehen. Der Wiederaufbau zeige, so Bürgermeister Wilhelm Gebhardt in einer Zwischenbilanz 1954, „wie die Zerstörung mit allen ihren bösen Seiten doch auch eine gute mit sich gebracht hat, nämlich die Chance, Schöneres und Zweckmäßigeres an die Stelle des Alten zu setzen“.
Allerdings – und das darf man sagen, ohne die Leistung der Wiederaufbau-Generation im Geringsten zu schmälern – verlor Crailsheim mit dem neuen Stadtgrundriss weitgehend die Ecken und Winkel, die in anderen, weniger zerstörten Klein- und Mittelstädten ganz wesentlich zu Atmosphäre und Flair beitragen.

Im Mai 1949 genehmigte das Innenministerium den endgültigen Stadtbauplan. Bis dahin hatten alle Bauvorhaben in der Innenstadt nur provisorisch durchgeführt werden können. Baugesuche von Innenstadtbewohnern, die ihre Häuser wieder errichten wollten, mussten zurückgestellt werden, ein „wilder“ und planloser Wiederaufbau sollte unter allen Umständen verhindert werden. Es gab lange Wartezeiten, die angesichts der Wohnungsnot bei den Betroffenen zu großem Unmut führten.

Die Umsetzung des neuen Stadtbauplans brachte es auch mit sich, dass nicht alle Ruinengrundstücke am alten Platz wieder aufgebaut werden konnten. Ungefähr 50 Ruinenbesitzer mussten zur Auflockerung der Innenstadt ausgesiedelt werden, in erster Linie die Besitzer landwirtschaftlicher Betriebe und nicht Gewerbe treibende Privatleute. Die Neuverteilung der Baugrundstücke machte eine Baulandumlegung notwendig. Von 1947 an bewertete ein gemeinderätlicher „Umlegungsausschuss“ alle Grundstücke der Innenstadt, entschied über jedes einzelne, ob es bleiben konnte, ob es verlegt oder mit einem Nachbargrundstück zusammengelegt werden musste, und nahm die Neueinteilung vor. Erst 1956 konnte der Ausschuss seine Arbeit abschließen. Über die komplizierten Verhandlungen mit allen betroffenen Grundstückseigentümern wurden mehr als 2.000 Seiten Protokoll angefertigt.

Rathaus-Neubau, eingeweiht 1954
Rathaus-Neubau, eingeweiht 1954

Stadtbauplan und Baulandumlegung bildeten die Grundvoraussetzungen für den Wiederaufbau der Crailsheimer Innenstadt, der in den 1950er-Jahren auch die markanten öffentlichen Gebäude einschloss: Im Juni 1953 wurde das neue Landratsamt an der Ecke Karlstraße/Schillerstraße eingeweiht. Im Oktober 1954 folgte das neu erbaute Rathaus mit dem vergrößerten Marktplatz und im März 1955 das große Verwaltungsgebäude am Schlossplatz als Nachfolgebau des früheren markgräflichen Schlosses. Seinen symbolischen Abschluss fand der Wiederaufbau Crailsheims schließlich im Oktober 1979, als unter riesiger Beteiligung der Bevölkerung der Rathausturm wieder seine Spitze erhielt.


Erschienen im Hohenloher Tagblatt, Sonderbeilage, vom 25. Juli 2009

Autor Folker Förtsch