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Robert Scholl

„Freiheit keine leere Phrase“

Robert Scholl (1891-1973)
Robert Scholl (1891-1973)

Vor 40 Jahren Robert Scholl bei Gedenkveranstaltung in Crailsheim zu Gast.

Im Bewusstsein vieler Zeitgenossen ist das besondere Crailsheimer Gedenken an den Widerstand der Studentengruppe „Weiße Rose“ um den in Ingersheim geborenen Hans Scholl eine Erscheinung der letzten Jahre. Das ist nicht ganz richtig: Bereits vor vier Jahrzehnten hob man von offizieller Seite die besondere Beziehung der Stadt zu Hans Scholl hervor. Höhepunkt in einer ganzen Reihe von Veranstaltungen war der Auftritt des Vaters der Geschwister Scholl, Robert Scholl, am 20. Juli 1964 bei einer Gedenkveranstaltung im Ratssaal.

Die Einladung Robert Scholls zur Crailsheimer Gedenkfeier am 20. Jahrestag des Stauffenberg-Attentats auf Hitler ging auf eine Initiative des Kreisjugendrings zurück. Unter dem Vorsitz des jungen Pfarrers Rudolf Schütt, Geistlicher an der Christuskirche auf dem Sauerbrunnen, kümmerte sich der Kreisjugendring in diesen Jahren auch um die Gestaltung würdiger Feiern zum 17. Juni (Aufstand in der DDR), 20. Juli (Attentat auf Hitler) und zur „Woche der Brüderlichkeit“. Schütt, der von 1965 bis 1977 zunächst für die CDU und dann für die Freie Wählervereinigung auch im Crailsheimer Gemeinderat saß, hatte offenkundig den Kontakt zu Robert Scholl hergestellt.

Pfarrer Robert Schütt, damals Vorsitzender des Kreisjugendrings, brachte Robert Scholl 1964 nach  Crailsheim
Pfarrer Robert Schütt, damals Vorsitzender des Kreisjugendrings, brachte Robert Scholl 1964 nach Crailsheim

In Crailsheim war man erst ein Jahr zuvor, 1963, auf die besondere Beziehung der Stadt zu Hans Scholl aufmerksam geworden. Nachforschungen in den Standesamtsbüchern anlässlich der bundesweiten Gedenkfeiern zum 20. Jahrestag der Hinrichtung der Geschwister Scholl im Februar 1963 hatten die Ingersheimer Abstammung Hans Scholls zu Tage gefördert. Diese Entdeckung führte schon in der folgenden Märzsitzung des Gemeinderats zu einer Aussprache über eine angemessene Ehrung Hans Scholls in Crailsheim. In großer Einmütigkeit unterstützten die Wortführer aller Fraktionen entsprechende Schritte. Diskutiert wurden die Anbringung einer Gedenktafel am Geburtshaus und die Benennung der Ingersheimer Schule nach den Geschwistern Scholl. Letzteres konnte ein knappes Jahr später realisiert werden. Am 23. Januar 1964 beschloss der Gemeinderat sowohl die Erweiterung als auch den neuen Namen der Schule: „Geschwister-Scholl-Schule“.

Im gleichen Jahr fand zum Hinrichtungstag der Scholls, dem 22. Februar, die erste Gedenkveranstaltung in Ingersheim statt. Die SPD lud zu einer „staatspolitischen Feier“ ins Gasthaus Hohenstein ein. Gemeinderat Fritzmartin Ascher und der frühere württembergische Innenminister Fritz Ulrich hielten Ansprachen.

Höhepunkt der Crailsheimer Gedenkfeiern für die Geschwister Scholl 1964 war jedoch der Auftritt des Vaters Robert Scholl. Für Scholl, Jahrgang 1891, war es ein Wiedersehen mit Crailsheim nach mehr als 44 Jahren. Von 1917 bis Anfang 1920 war er als junger Mann Schultheiß in der Nachbargemeinde Ingersheim-Altenmünster gewesen. Hier kamen die beiden ältesten seiner insgesamt sechs Kinder zur Welt: am 11. August 1917 die Tochter Inge und am 22. September 1918 der Sohn Hans. Die weiteren Kinder, darunter Tochter Sophie (1921), wurden schon in Forchtenberg geboren, wohin Robert Scholl als gewählter Stadtschultheiß 1920 von Ingersheim wechselte. Über Ludwigsburg wurde die Familie schließlich Anfang der 1930er Jahre in Ulm ansässig.

Dem nationalsozialistischen Regime stand Robert Scholl von Beginn an ablehnend gegenüber, ohne Zweifel eine der Wurzeln, aus dem sich auch der spätere aktive Widerstand zweier seiner Kinder speiste. In die Zeit der Verbreitung der ersten Flugblätter der „Weiße Rose“ im Sommer 1942 fiel seine erste Verhaftung aufgrund der Denunziation einer Mitarbeiterin. Er hatte ihr gegenüber Hitler als „die größte Gottesgeisel“ bezeichnet, „die die Menschheit je bekommen hat“, und war dafür zu vier Monaten Haft verurteilt worden. Nach der Ergreifung und Hinrichtung der „Weiße Rose“-Gruppe im Februar 1943, darunter seine Kinder Hans und Sophie, wurde Robert Scholl mit seiner Familie in „Sippenhaft“ genommen. Mehr als eineinhalb Jahre verbrachte er in den Zuchthäusern Ulm und Kislau.

Robert Scholl mit seinen Kindern vor dem Ludwigsburger Schloss, 1930/31
Robert Scholl mit seinen Kindern vor dem Ludwigsburger Schloss, 1930/31

Nach dem Ende der Naziherrschaft wurde Robert Scholl 1945 in das Amt des Oberbürgermeisters der schwer zerstörten Stadt Ulm eingesetzt, das er bis zu seiner Wahlniederlage 1948 versah. Aber auch danach blieb er politisch aktiv: Zusammen mit Gustav Heinemann und Martin Niemöller gründete er 1953 die Gesamtdeutsche Volkspartei, die sich gegen die Wiederbewaffnung und für ein wieder vereinigtes, neutrales Deutschland aussprach. Engagiert arbeitete er in der Friedensbewegung mit. Zeit seines Lebens empfand er die Überzeugungen seiner Kinder Hans und Sophie, für die diese in den Tod gegangen waren, als Verpflichtung für sein eigenes politisches Handeln.

Obwohl sich Robert Scholl, der mit seiner zweiten Frau nach Crailsheim gekommen war, aus gesundheitlichen Gründen auf eine kurze Ansprache beschränkte, und das Hauptreferat des Abends von Oberstudienrat Gerhard Binder aus Ulm, einem Freund der Familie Stauffenberg, gehalten wurde, standen dennoch seine Worte im
Mittelpunkt der Aufmerksamkeit. Zunächst schilderte er seine Kinder Hans und Sophie: Hans sei bei seiner Geburt in Ingersheim mit Böllerschüssen begrüßt worden und am Tag seiner Taufe wurde der Waffenstillstand geschlossen, der endlich den Ersten Weltkrieg beendete. Er schien ein „begnadetes Glückskind“ zu sein. Von allen sei er geliebt worden, „der Liebling der Lehrer und der Kameraden und doch nicht verweichlicht, sondern mutig, sportlich, vorurteilslos und verantwortungsbewusst“. Als Student habe er eine „außerordentlich große Überzeugungskraft“ entwickelt, die selbst prominente Persönlichkeiten beeindruckt habe. Seine Schwester Sophie sei ihm in vielem ähnlich, aber in allem zarter gewesen.

Was den Widerstand der Studenten der „Weiße Rose“ angehe, so Robert Scholl, sei er nicht politisch oder gar parteipolitisch ausgerichtet gewesen. „Literatur, Kunst, Philosophie gaben ihnen genügend Inhalt“. Ihr Beweggrund sei es gewesen, den Teufelskreis des Schweigens zu durchbrechen, dem „Beben des Herzens über den Unmenschlichkeiten, die gegen Ende des Krieges unleugbar immer weiter bekannt wurden“, Luft zu verschaffen. Sie vertrauten auf „die Kraft der Wahrheit“ und wollten „ein Zeichen geben, dass nicht alle Deutschen zur Hammelherde Hitlers gehörten“. „Sie waren nicht blind gegen die Wirklichkeit, die mit so vielen Gefahren den kleinsten Schimmer der Wahrheit bedrohte, aber es fehlte ihnen die Feigheit, mit der viele ihr Gewissen überdeckten“.

Die beeindruckenden Initiativen des Jahres 1964 fanden leider zunächst keine Fortsetzung. In den nächsten Jahren war von der engen Verbindung Crailsheims zur „Weiße Rose“ im öffentlichen Leben kaum mehr etwas zu merken. Erst seit gut einem Jahrzehnt ist das Gedenken an die Geschwister Scholl und an andere Widerständler gegen die NS-Gewaltherrschaft zu einem institutionalisierten und kontinuierlich gepflegten Bestandteil des Crailsheimer Selbstverständnisses geworden. Das ist gut so, denn das Handeln von Hans und Sophie Scholl hat bis heute nichts von seiner Bedeutung eingebüßt.
 
Erschienen im Hohenloher Tagblatt vom 20. Juli 2004

Autor Folker Förtsch