Aktuelles

Das Bild des Architekten und Stadtplaners Reinhold Mohr zeigt die Trümmerverwertung am Crailsheimer Rathaus. Auf der Rückseite gibt es weitere Informationen, darunter ein Zettel mit der Aufschrift: „Trümmerverwertung 1946-1951 / es entstand daraus die Firma Hoff&Büchler“. Die Firmeninhaber dokumentieren zudem die Schenkung des Bildes an eine „kleine Mitarbeiterin“.

Es ist keine romantische Idylle, auf die der Maler blickt, auch wenn das Aquarell in sanften Tönen gehalten wurde: Mittig im Bild erstreckt sich ein niedriger langgezogener Schuppen mit einer großen Dachfläche, zwei große hölzerne Torflügel geben den Blick frei in eine dunkle Einfahrt. Davor sind in regelmäßiger Ordnung Materialstapel zu sehen. Durch die dazwischen agierenden kleinen Personen wird der Blick an den linken Bildrand gezogen, wo eine Maschinerie aus Förderbändern, Umlenkrollen und Keilriemen offenbar am Laufen ist. Wo diese Szene geschäftigen Treibens stattfindet erschließt sich dem Betrachter erst auf den zweiten Blick: An die Hütte schließt rechts ein Turm an, dessen Spitze nicht zu sehen ist. Dahinter ragen zwei weitere Türme auf: Ein kleinerer, mit offenbar fehlendem Helm, und ein entfernterer mit barocker Haube. Erst dieses Ensemble der mehr oder weniger beschädigten Türme lässt den Betrachter schlussfolgern, dass das Bild eine Ansicht des Crailsheimer Marktplatzes in der Nachkriegszeit ist und die flache Hütte die kläglichen Reste des einst großräumigen Rathauses darstellt.

So ist das als Archivale des Monats ausgewählte Bild Zeugnis der immensen Aufbauleistung, die die Crailsheimer nach der fast vollständigen Zerstörung ihrer Stadt in den letzten Tagen des Zweiten Weltkriegs vollbrachten. Der Innenstadtbereich war ein einziger Trümmerhaufen. Wege mussten erst wieder freigeräumt und begehbar gemacht werden. Dann planten die Crailsheimer den Neubau ihrer Stadt: Ein Stadtbauplan wurde entworfen, wegen der gewünschten Verbreiterung der Straßen und Vergrößerung der Plätze wurde ein Umlegungsverfahren beschlossen sowie eine Trümmerverwertung begonnen. Dazu wurde die Baufirma Erich Hoff mit der Enttrümmerung beauftragt. Die Crailsheimer führten Trümmersteine zu einem Steinbrecher am Rathaus, mit einem „Schwingbetongerät“ wurden neue Mauersteine hergestellt.

Das Bild im Crailsheimer Stadtarchiv zeigt die Aufbruchsstimmung der Nachkriegszeit. Auf der Rückseite sind wichtige Ergänzungen zu seiner Entstehung festgehalten. So ist am unteren Rand mit Bleistift notiert: „Blick vom obersten Fenster nach der Trümmerverwertung. Crailsheim. R. Mohr. Juli 1951.“ Spätere Hände haben hinzugefügt: „21. Juli 1946 bis 19. Juli 1951.“ Eine weitere Notiz gibt Hinweise auf den möglichen Künstler: „Geschaffen vom Schwiegersohn der Blezingerapotheke“, doch ist das Wort „Schwiegersohn“ durchgestrichen und darüber „von Herrn Mohr“ geschrieben.

Daraus lässt sich folgern: Der Maler des Bildes hatte offenbar das Geschehen vom obersten Geschoss der Blezingerapotheke, die ehemals den Marktplatz nach Norden begrenzte, beobachtet. Der Schwiegersohn des damaligen Apothekeninhabers Robert Blezinger, das zeigen die Crailsheimer Familienbücher, hieß Bernhard Wilhelm Otto Mohr. Er hatte am 19. Oktober 1939 in Crailsheim Gertrud Helene Melanie Blezinger geheiratet, die Enkeltochter des Crailsheimer Apothekers und Ehrenbürgers Richard Blezinger. Auf dem Gemälde signiert der Künstler allerdings mit „R. Mohr“, sowohl auf der Rückseite als auch auf der Malerei der Vorderseite. Es handelt sich daher nicht um den Schwiegersohn Blezingers – wie auch auf der Inschrift korrigiert wurde – sondern mit großer Wahrscheinlichkeit um dessen Vater, Reinhold Gotthilf Immanuel Mohr – und damit wäre das Crailsheimer Stadtarchiv im Besitz eines Kunstwerks eines in Potsdam hoch angesehen Architekten und Stadtplaners. Offenbar war Reinhold Mohr bei den Schwiegereltern seines Sohnes zu Besuch. Kein Wunder, wenn er sich für den Wiederaufbau von Crailsheim und insbesondere für die technische Umsetzung interessiert hatte. Sein Aufenthalt im Juli 1951 könnte auch ein Hinweis sein, dass er Interesse am Neubau des Landratsamtes zeigte, für den ein Wettbewerb ausgeschrieben worden war.

Der 1882 in Stuttgart geborene Reinhold Mohr lebte schon seit 1911 in Potsdam, wo er 43 Jahre lang in verschiedenen Ämtern für den Bau und den Umbau zahlreicher repräsentativer Bauten verantwortlich war. So wurde beispielsweise 1932 nach seinen Entwürfen der Musikpavillon im Luftschiffhafen gebaut, ein luftiges Glasgebäude, das konsequent die Architektur der Moderne darstellt. Während der NS-Zeit blieb Mohr im Stadtbauamt tätig, war als Parteiloser allerdings nicht mehr in verantwortlicher Stellung tätig. Nach dem Krieg wurde er mit den Planungen für den Wiederaufbau des kriegszerstörten Potsdams betraut. In hohem Alter, mit 84 Jahren, kehrte er 1966 nach Stuttgart zurück. Mohr war enttäuscht vom Umgang mit der Architektur in Potsdam, die für viele Bauten den Abriss vorsah und damit seiner Ansicht nach eine städtebauliche Verarmung brachte. Sein Schaffen wird jedoch jüngst in Potsdam verstärkt gewürdigt. Zum Jahrestag seines 100-jährigen Dienstantritts wurde am 30. Juni 2011 ein Uferweg am Templiner See nach ihm benannt, das dortige Restaurant „Seekrug“ war ebenfalls von ihm entworfen worden. Und das Potsdam Museum, das Teile des Nachlasses besitzt, setzt jüngst ein umfassendes Digitalisierungsprojekt um: „Reinhold Mohr (1882-1978). Zwischen Tradition und Moderne“. Dabei werden Architekturzeichnungen und Entwürfe zu Potsdamer Gebäuden katalogisiert und digital erfasst. Darunter sind auch einige Aquarelle von seiner Hand, die mit ihrer Farbigkeit und mit der grafischen Umsetzung der gezeigten Architektur durchaus vergleichbar mit dem Crailsheimer Bild sind. von Dr. Helga Steiger

Info: Wer sich für die Werke Reinhold Mohrs interessiert: Eine Auswahl kann online abgerufen werden, unter brandenburg.museum-digital.de/institution/10 kann unter der Rubrik „Sammlungen“ sein Nachlass ausgewählt werden.

April 2022: Kriegsgräberlisten des Ersten und Zweiten Weltkriegs
Durch den Krieg in der Ukraine erleben wir in Deutschland auf beängstigende Weise, wie zerbrechlich das Gefühl von Sicherheit sein kann. Teilnehmerinnen und Teilnehmer von Veranstaltungen für den Frieden zeigen einerseits ihre Fassungslosigkeit und setzen gleichzeitig ein entschlossenes Zeichen. Diese Art des Erinnerns und Mahnens ist in Crailsheim fest verwurzelt: Jedes Jahr versammeln sich auf dem Crailsheimer Ehrenfriedhof Menschen, um der Zerstörung der Stadt am 20./21. April 1945 zu gedenken. An den Gräbern der Kriegsopfer erinnern sie an das unsägliche Leid, das durch den Zweiten Weltkrieg entstanden ist – und das durch alle Kriege entsteht.

Menschen, die durch Kriegshandlungen ums Leben gekommen sind, haben ein Anrecht auf ein ehrendes Gedenken. Das ist eine moralische Haltung, aber auch eine in Deutschland gesetzlich festgeschriebene Verpflichtung: Gefallenen steht per Gesetz ein dauerhaftes Ruherecht zu. War dies nach dem Ersten Weltkrieg vor allem auf Soldaten bezogen, bildete sich nach dem Zweiten Weltkrieg die Überzeugung, dass durch das erlittene Leid alle Kriegsopfer – auch getötete Zivilopfer – ein dauerndes Ruherecht haben. Für die Gefallenen wurden eigene Ehrenfriedhöfe angelegt. Als 1952 das „Gesetz über die Sorge für die Kriegsgräber“ erlassen wurde, ging der Auftrag zur Pflege der Anlagen an die Kommunen über.

In Crailsheim gibt es auf dem Alten Friedhof und dem Hauptfriedhof Gedenkorte für die Gefallenen des Ersten und Zweiten Weltkriegs. Auf dem Hauptfriedhof ruhen 24 deutsche Gefallene des Ersten Weltkriegs in dem Gräberfeld rechts vor der Kapelle, oberhalb neben der Kapelle ist ein Feld für sechs ausländische Soldaten angelegt. 33 Gefallene des Zweiten Weltkriegs sind in dem zweiten kleinen Ehrenfeld und 124 Gefallene in dem großen Ehrenfeld bestattet. In Familiengräbern ruhen 16 Gefallene. Während der Kampfhandlungen im April 1945 konnten die Toten nicht zum Hauptfriedhof gebracht werden. In eiligen, teilweise lebensgefährlichen Aktionen wurden sie in zwei Massengräber auf dem Alten Friedhof gelegt. Ihre Namen konnten oftmals nicht festgestellt oder notiert werden. Im Jahr 1957 wurden sie exhumiert, wobei zahlreiche Personen identifiziert werden konnten. Auf dem Alten Friedhof entstand dann ein Ehrenfriedhof, auf den auch die Gefallenen aus dem Gebiet des Altkreises Crailsheim umgebettet wurden. Seitdem ruhen 164 Gefallene in den Feldern am Hochkreuz, weitere Felder wurden für die 153 Zugebetteten aus den Kreisgemeinden angelegt. In einem Feld hinter der Kapelle ruhen 28 ausländische Kriegstote. Insgesamt ruhen in den Crailsheimer Ehrenanlagen 548 Gefallene.

Sofern dies bekannt ist, tragen die Gedenksteine am Grab die Namen sowie Geburts- und Todesdatum der Kriegstoten. Aus detaillierteren Kriegsgräberlisten lässt sich zudem das Schicksal der Menschen erschließen: Hier sind oft auch die Herkunft, der ausgeübte Beruf, der Todesort und der Todeszeitpunkt vermerkt. Das Stadtarchiv Crailsheim verwahrt diese Listen aus dem Ersten und Zweiten Weltkrieg. Sie halten die Namen der Kriegsopfer fest und dokumentieren damit bis heute auch das Leid der Angehörigen. Aus den nüchtern-bürokratisch scheinenden Listen lässt sich nachvollziehen, dass der Krieg keinen schont – er tötet Soldaten und Zivilisten, Deutsche und Ausländer, Männer und Frauen, Erwachsene und immer wieder Kinder, Kinder, Kinder.

Als die Ehrenanlage auf dem Neuen Friedhof im Mai 1959 eingeweiht wurde, sagte ein Vertreter des Volksbunds Deutsche Kriegsgräberfürsorge: „In Crailsheim weiß man, was Krieg bedeutet“. Dies ist eine Last, die in manchmal nicht fassbarer Weise bis heute getragen wird. Zugleich ist es eine Aufforderung, Position zu beziehen und beständig für den Frieden einzustehen.

Info: In Kürze gibt das Stadtarchiv das Buch „Seele, vergiss nicht die Toten“ heraus. Der Autor Andreas Manier stellt darin die Geschichte der Ehrenanlagen mit den Kriegsgräbern des Ersten und Zweiten Weltkriegs in Crailsheim vor.

März 2022: Familienbücher im Stadtarchiv – Bd.1 Bl.2

Das Schicksal der Familie Mandelbaum
Wer Ahnenforschung betreibt, für den sind Kirchenbücher eine unerlässliche Quelle. Seit dem 16. Jahrhundert dokumentierten Pfarrer die Geburten, Verheiratungen und Todesfälle in ihrer Gemeinde – und übernahmen damit „standesamtliche“ Aufgaben. Die Standesämter als kommunale Behörden mit eigens bestellten Beamten wurden erst gegen Ende des 19. Jahrhunderts eingeführt. In Württemberg geschah dies im Jahr 1876 durch eine Gesetzesänderung.
Das Prinzip blieb gleich: Weiterhin wurden Geburts-, Heirats- und Sterberegister geführt. In Württemberg wurden auf staatliche Anordnung zusätzlich seit 1808 von den Geistlichen sogenannte Familienbücher geführt, die auf einer Doppelseite einen „Überblick“ zu sämtlichen Veränderungen in einer Familie festhielten. Auch nach der Einführung der Standesämter sollte diese Tradition bestehen bleiben, wie eine „Verfügung der Ministerien der Justiz, des Innern und des Kirchen- und Schulwesens betreffend die Fortführung der Familien-Register“ festlegte: „Für jeden Standesamtsbezirk ist ein Familienregister anzulegen und fortzuführen, in welchem jede einzelne Familie auf besonderem Blatt aufzunehmen und alle in den Standesregistern zum Eintrag kommenden Veränderungen des Personenstandes der Familienglieder sofort vorzutragen sind.“
Diese Bücher enthalten auf einer Doppelseite einen tabellarischen Vordruck, in den die Angaben zu einer Familie eingetragen werden können: Namen, Geburtstag, Geburtsort, Verheiratung und Sterbedaten der Eltern sowie Angaben zu den Großeltern auf der linken Seite, die Kinder mit Geburts- und Todestag auf der rechten Seite. Die Bücher wurden chronologisch geführt. Ein alphabetisches Namensregister erleichtert die Suche.

Durch das neue Personenstandsgesetz von 2009 gelangen die Überlieferungen der Standesämter nach bestimmten Wartezeiten in die Kommunalarchive. So sind die Familienbücher auch im Stadtarchiv Crailsheim eine rege genutzte Quelle. Sie werden fast täglich zu Rate gezogen, vor allem, wenn nach einem Todesfall die Erben des Verstorbenen zu ermitteln sind.

Der erste Eintrag im 1876 neu angelegten Crailsheimer Familienbuch zeigt die Familie Alexander und Lina Mandelbaum

Auch wenn eine solche Doppelseite eines Familienbuches ein reines Datenblatt mit Zahlen und Fakten ist, kann es viel über eine Familie aussagen – und in der Summe viel über die Stadt selbst. Als Archivale des Monats soll die erste Seite ausgefüllte Seite des ersten Bandes der Crailsheimer Familienbücher vorgestellt werden. Auf der Doppelseite ist die Familie Mandelbaum verzeichnet. Alexander Mandelbaum, der am 1. November 1847 in Crailsheim geboren wurde, hatte am 29. Januar 1873 in Nördlingen Lina Oppenheimer geheiratet. Sie war am 27. Juli 1850 in Aufseß geboren worden. Als Religion beider ist „israelitisch“ vermerkt. Von späterer Hand wurden auch die Sterbedaten von Alexander (11. August 1908) und Lina (13. Januar 1919) nachgetragen, beide verstarben in Crailsheim.

Auch der Beruf von Alexander ist genannt: Er war Rotgerber in Crailsheim, das heißt, er gerbte Rindsleder zur Verwendung für Schuhe und Sättel. Als „Eltern des Hausvaters“ werden Abraham Mandelbaum und Fanny, geborene Wacker, erwähnt. Auch Abraham war Rotgerber in Crailsheim. Es handelte sich daher bei den Mandelbaums um eine ansässige Familie. Als „Eltern der Hausmutter“ werden Abraham Oppenheimer und Marie, geborene Tüchner, ohne Herkunftsangabe genannt.
Die Familie Mandelbaum hatte sechs Kinder, wie auf der zweiten Seite zu sehen ist: Max, Amalie, Fanny, Josef, Emma und August. Sie wurden in den Jahren 1873 bis 1883 in Crailsheim geboren. Der Eintrag der Geburt von Fanny ist der Anlass zur Aufnahme der Familie als ersten Eintrag in das neue Crailsheimer Familienbuch: Fanny wurde am 1. Januar 1876 geboren, an dem Tag also, ab dem die Familienbücher von staatlicher Seite zu führen waren.

Vier Kinder der Mandelbaums starben bereits im ersten oder zweiten Lebensjahr, was damals leider häufig der Fall war. Nur die Töchter Amalie und Fanny erreichten das Erwachsenenalter. Das ist jedoch nicht an ihrem Sterbedatum zu sehen, denn dieses Feld ist im Familienbuch freigelassen. Und damit dokumentiert diese 1876 erstellte Seite bereits das schreckliche Verbrechen, das mehrere Jahrzehnte später an den Menschen jüdischen Glaubens verübt werden sollte. Im Jahr 1938 wurde von dem damaligen Standesbeamten an die Namen der beiden überlebenden Töchter der Familie Mandelbaum der Name „Sara“ angefügt. Dies wurde von den Nationalsozialisten mit der „Namensänderungsverordnung“ im Jahr 1938 verfügt. Demnach mussten jüdische Menschen, sofern sie nicht einen jüdischen Vornamen trugen, der „im deutschen Volk als typisch angesehen“ wurde, mit „Israel“ oder „Sara“ gekennzeichnet werden. Aufgrund ihres Geburtstages am Stichtag war Fanny auch die erste Person, die in Crailsheim im städtischen Geburtenregister aufgenommen wurde. Und hier findet sich auch der traurige Nachtrag: „Gestorben am 22. September 1942 in Theresienstadt“. Auch ihre Schwester Amalie sollte dieses Schicksal ereilen. Dies ist zwar nicht in den Standesamtsunterlagen dokumentiert, jedoch durch Forschungen des Stadtarchivs bekannt: Die Familie Mandelbaum lebte in der Wilhelmstraße, die beiden Schwestern zogen nacheinander von Crailsheim nach München, von wo sie 1942 deportiert wurden. Amalie starb am 16. Januar 1943 ebenfalls in Theresienstadt.

Idylle einer vergangenen Zeit
Eine Ausstellung in Dinkelsbühl zeigt Werke des Malers Rudolf Warnecke. Das Stadtarchiv besitzt Werke Warneckes mit Darstellungen von Crailsheim.

Den Winter stellt man sich gerne anders vor als in diesen Tagen: idyllisch tief verschneit in strahlendem Weiß mit blauem Himmel – und nicht trüb und grau mit Nieselregen. Wer Schnee will und dafür nicht in die entsprechenden Gebiete fährt, kann sich nur mit alten Fotografien oder künstlerischen Darstellungen trösten. Das Stadtarchiv möchte Abhilfe schaffen und als Archivale des Monats Januar das Bild einer Crailsheimer Winter-Wunsch-Idylle vorstellen: Die Grafik zeigt die Grabenstraße mit der dort erhaltenen Stadtmauer und dem Zeughausturm, gegenüber die alte Herrenmühle, verdeckt von einem Baum, der seine kahlen Äste in den Himmel streckt. Wege, Dächer und der Brunnen im Vordergrund sind verschneit. Kein Mensch ist zu sehen, im Himmel ziehen Vögel ihre Bahn.

Rudolf Warnecke: Crailsheim im Winter

Das aquarellierte Bild stammt von Rudolf Warnecke. Im Jahr 1905 in Bautzen geboren absolvierte er eine Ausbildung zum Gebrauchsgrafiker, machte sich jedoch im Anschluss als freischaffender Künstler selbstständig. Auf Reisen entdeckte er Franken mit den malerischen Städten Würzburg, Nürnberg und Rothenburg. Seine idyllischen Gemälde und Zeichnungen, seine charakteristischen Holzschnittfolgen und seine Porträtdarstellungen machten ihn bekannt. Ab 1941 leistete Warnecke Kriegsdienst, er war als Kriegsmaler tätig. Nach der Kriegsgefangenschaft, zuletzt in Neu-Ulm, führte ihn sein Weg über Donauwörth und Nördlingen nach Dinkelsbühl. Hier erwarb er ein Anwesen, das später so genannte „Warneckehaus“, am Altrathausplatz. Der Künstler lebte mehrere Jahre in Dinkelsbühl, malte und zeichnete Stadtansichten und entwarf großformatige Sgraffiti (mehrlagige Kratzbilder) für Hauswände. Noch bis 24. April 2022 wird eine Auswahl seiner Werke im Dinkelsbühler Haus der Geschichte gezeigt.

Doch wie kam Warnecke nach Crailsheim? Offenbar erlaubte es ihm der wirtschaftliche Erfolg, ein zweites Atelier in der Nachbarstadt Dinkelsbühls einzurichten. Von 1961/62 bis 1969 logierte er zeitweise in einem Haus in der Fronbergstraße. Es entstanden pittoreske Ansichten der Stadt, aber auch Bilder, die inzwischen ikonisch zur Stadtgeschichtsschreibung dazugehören. Warnecke zog schließlich über Bad Mergentheim nach Ravenstein-Merchingen, wo er bis zu seinem Tod 1994 lebte.

Widmung Rudolf Warnecke

Warnecke schreibt selbst über seine Zeit in Crailsheim: „In der Nachbarstadt Crailsheim richtete ich mir 1961 ein zweites Atelier ein. Hoch über den Dächern bewohnte ich dort ein romantisches Turmzimmer, das von Dohlen ständig umkreist wurde. Im Kamin bauten sie ihr Nest, das ich den Winter über ständig entfernen mußte, wollte ich da oben nicht erfrieren. Kam ich von einer Reise zurück, war meine erste Arbeit immer die gleiche: auf einer Strickleiter mußte ich durch die Deckenluke klettern und für den ungehinderten Rauchabzug sorgen. Stritten sich die Dohlen um den begehrten Nistplatz, so fielen sie dabei manchmal in den Kamin, wo sie durch die Kamintür direkten Zugang in mein Refugium hatten. Dann saßen die rußigen Rabenvögel darin auf einem, an Ketten aufgehängten, langen knorrigen Ast, den ich vom Sylter Strand mitgebracht hatte, und schauten mir bei der Arbeit zu.“ – Idyllischer konnte ein Aufenthalt in der Stadt kaum sein.

Auch nach seinem Wegzug wurde er von der Stadt beauftragt: So fertigte er 1970 für das Hauptprogramm des Fränkischen Volksfests eine Darstellung der Stadtbelagerung, die wie ein Comic gehalten ist. Auch das Plakat der Bürgermeisterin, die ihr Hinterteil über die Mauer streckt, dürfte allen Crailsheimerinnen und Crailsheimern bekannt sein. Anknüpfend an seine Totentanz-Folgen, die schon vor dem Zweiten Weltkrieg entstanden waren, fertigte er auch ein symbolisches Bild der Zerstörung Crailsheims. Warneckes Bilder wurden 1975 und 1985 im Ratssaal ausgestellt.

Stadtbelagerung Crailsheim 1376-1378

Warnecke wurde mehrfach für sein Lebenswerk ausgezeichnet, in den 1980er Jahren wurde er in Deutschland als einer der „bedeutendsten Porträtisten, Holzschneidern, Wandmalern und Graphikern unserer Zeit“ angesehen. Sein autobiografisches Werk „Mit Geißfuß und Stichel durch ein Künstlerleben. 100 Holzschnitte aus 6 Jahrzehnten“ mit einer handschriftlichen Widmung des Künstlers befindet sich in der Bibliothek im Stadtarchiv.                                                                               von Dr. Helga Steiger