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1806 fiel Crailsheim an Bayern

1806 wurde Crailsheim von Bayern in Besitz genommen – das Ende von über 400 Jahren Hohenzollernherrschaft

Seit 1806 der neue Landesherr auch für Crailsheim - der bayerische König Max I. Joseph
Seit 1806 der neue Landesherr auch für Crailsheim - der bayerische König Max I. Joseph

Vom 20. Mai 1806 datieren die bayerischen Besitzergreifungspatente, die alle Städte und Dörfer des bisherigen Fürstentums Ansbach, darunter auch Crailsheim, offiziell in den bayerischen Staatsverband eingliederten. Genau 200 Jahre ist es also her, dass die Crailsheimer Untertanen des bayerischen Königs Max I. Joseph wurden – eine wichtige Zäsur der Stadtgeschichte, an die im Folgenden erinnert werden soll.

Die Jahrzehnte um 1800 waren eine Epoche großen geschichtlichen Wandels, nicht nur für Crailsheim, sondern in ganz Europa. Im Gefolge der Französischen Revolution von 1789 mit ihrer radikalen Infragestellung der alten Ständegesellschaft und der Expansion des revolutionären Frankreich kam es zu einer Reihe kriegerischer Auseinandersetzungen, die die politische Landkarte Europas völlig umgestaltete.

Crailsheim, das seit der Abdankung des letzten Ansbacher Markgrafen 1792 zu den fränkischen Besitzungen Preußens gehörte und als Teil des „Fürstentums Ansbach“ von Berlin aus regiert wurde, profitierte zunächst von dem Neutralitätskurs, den die preußische Politik seit 1797 in den europäischen Auseinandersetzungen einschlug. Die Stadt blieb von direkten kriegerischen Auseinandersetzungen verschont, Aushebungen und Einquartierungen hielten sich in Grenzen. Mehr noch: Wie das gesamte Fürstentum Ansbach erlebte auch Crailsheim eine Phase relativen wirtschaftlichen Wohlstands, der auch aus den preußischen Maßnahmen zur Modernisierung des Landes resultierte.

Dies änderte sich mit dem sog. Dritten Koalitionskrieg 1805, in dem England gemeinsam mit Russland, Österreich und Schweden gegen das Napoleonische Frankreich antrat. In Verletzung der preußischen Neutralität durchzogen ab Anfang Oktober Zehntausende französische Soldaten das ansbachische Territorium – allein am 4. und 5. Oktober passierten annähernd 20.000 Franzosen Crailsheim. Es war dies der Auftakt zu unaufhörlichen Truppendurchzügen und endlosen Einquartierungen, die den Wohlstand des Landes aufzehrten.

Nach den glänzenden Siegen Napoleons bei Ulm und vor allem in der Dreikaiserschlacht bei Austerlitz zogen sich weitere dunkle Wolken über den fränkischen Besitzungen Preußens zusammen. Bayern, der wichtigste Verbündete Napoleons, verlangte seinen Anteil an der Kriegsbeute. Die Verhandlungen orientierten sich an einem älteren Plan, der ein Tauschprojekt vorsah: Bayern sollte das preußische Fürstentum Ansbach (mit Crailsheim) erhalten, Preußen dafür mit dem englischen Hannover entschädigt werden. Frankreich ging natürlich auch nicht leer aus. Für seine Unterstützung Bayerns erhielt es von diesem das Herzogtum Berg am Rhein. In den Verträgen von Schönbrunn (15.12.1805) und Paris (15.2.1806) wurde dieser Länderschacher festgeschrieben.

Die Verhandlungen um die Zukunft Ansbachs wurden von der Öffentlichkeit des betroffenen Gebietes mit großem Interesse verfolgt. Zwar gab es keine genauen Informationen, jedoch sickerte der geplante Tausch mit Bayern gerüchteweise durch und sorgte für große Beunruhigung in der Bevölkerung. Aus einigen Städten, darunter Crailsheim, sind Versammlungen und Eingaben an den preußischen König bezeugt, in denen inständig um die Verteidigung und Erhaltung der preußischen Landeshoheit gebeten wurde. Die Willensbekundungen der Menschen vor Ort blieben, wie nicht anders zu erwarten, ohne Bedeutung.

Um weitere preußische Verzögerungsmanöver zu durchkreuzen, gab Napoleon am 14. Februar 1806, also bereits einen Tag vor der Unterzeichnung des Pariser Vertrags, den Befehl zur militärischen Besetzung des Fürstentums Ansbach. Am 23. und 24. Februar okkupierten französische Truppen in der Stärke von knapp 40.000 Mann das Land und proklamierten die Besitzergreifung durch Bayern. In Crailsheim rückten die Franzosen am 4. März ein – der Beginn einer siebenmonatigen Besatzungszeit mit enormen Lasten für die Bevölkerung.

Zwei Wochen nach dem Einmarsch, am 18. März, entfernten die Franzosen in einer militärischen Zeremonie die preußischen Hoheitszeichen und ersetzten sie durch die bayerischen: „Das geschah um 4 Uhr nachmittags unter großem Zulauf des Volks. Dabei war ein Umzug der französischen Krieger durch die Stadt von einem Tor zum andern. Der hier anwesende Marschall Arnaud ging mit bloßem Schwert, vor ihm die türkische Musik, nach ihm die Offiziere, dann ein Commissär, darauf die französischen Soldaten. An den 3 Toren wurde das preußische Wappen abgenommen und unter Musik das bayrische angeschlagen. Des Nachts mussten die Häuser beleuchtet, an jedem Fensterstock 1-3, auch 5 Lichter angezündet werden.“

Bayerisches Besitz-Ergreifungs-Patent für die Markgrafschaft Ansbach, mit dem auch Crailsheim an  Bayern fiel
Bayerisches Besitz-Ergreifungs-Patent für die Markgrafschaft Ansbach, mit dem auch Crailsheim an Bayern fiel

 
Nachdem die einzelnen Übergaberegelungen bis Ende Mai 1806 umgesetzt worden waren, wurde das bisherige Fürstentum Ansbach am 24. Mai offiziell von Preußen an den französischen Marschall Bernadotte überwiesen. Drei Tage später übergab dieser es an den bayerischen Bevollmächtigten Graf von Thürheim. Am 28. Mai wurden die bayerischen Besitzergreifungspatente in den Städten und Dörfern des Landes angeschlagen. Sie waren auf den 20. Mai vordatiert. Ab diesem Zeitpunkt waren die Crailsheimer offiziell Untertanen des bayerischen Königs Max I. Joseph.

Der neue Landesherr nahm am 20. September 1807 von der Stadt Crailsheim persönlich Besitz: „Es wurde in Eile eine Ehrenpforte über der Brücke errichtet und mit grünen Gesträuchen überzogen. Darüber wurde mit goldenen Buchstaben gemalt: Max Joseph, der Völkerbeglücker; oben zwei Urnen und in der Mitte das Wappen, darüber die Krone. Die Säulen wurden mit blauen und weißen Bändern umwunden. Der König hielt, las und freute sich, sowie über die Menge der Leute, welche von der Brücke bis an die Post hinauf standen. Am Postwirtshaus war der Empfang. Es wurde mit allen Glocken geläutet.“

Erst zwei Jahre nach der Inbesitznahme des neuen Landesteils ging die bayerische Regierung an die Neuregelung der Verwaltungsorganisation: Crailsheim wurde Sitz eines Landgerichtes im sog. Rezatkreis. Bei den von der Zentralregierung eingesetzten Landrichtern bündelten sich fast alle Verwaltungsaufgaben. Insbesondere übten sie die Kuratel über die Gemeinden aus, ohne die keine gültigen Gemeindebeschlüsse gefasst werden konnten. Neben dem „namenlosen Elend“ durch Einquartierungen und Truppendurchmärsche belastete vor allem diese Aufhebung der kommunalen Selbstverwaltung das Verhältnis zur neuen Landesherrschaft und verklärte das Bild der Crailsheimer von der preußischen Zeit.

Standbild des preußischen Königs Friedrich Wilhelm III. am Gasthaus Sauerbrunnen, errichtet 1802
Standbild des preußischen Königs Friedrich Wilhelm III. am Gasthaus Sauerbrunnen, errichtet 1802

“...unter Preußens glüklichen Scepter...“ – Crailsheimer Eingabe gegen die Inbesitznahme durch Bayern

Eines der zentralen Dokumente zum Anfall Crailsheims an Bayern ist die Appellation von Bürgern aus der Stadt und den umliegenden Landgemeinden vom 3. Februar 1806, in der sie ihre Verbundenheit mit der preußischen Landesherrschaft und ihren Wunsch äußerten, weiterhin preußisch bleiben zu dürfen. Es scheint unzweifelhaft, dass sich hierin, anders als etwa in der Huldigung an den neuen bayerischen Landesherrn, die tatsächliche Einstellung der Crailsheimer Bevölkerung ausdrückte. Die Bittschrift an den preußischen König Friedrich Wilhelm III. blieb im Original erhalten und befindet sich heute im Geheimen Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz in Berlin. Sie wird hier erstmals in Ausschnitten veröffentlicht:

Alleruntertaenigste Vorstellung und Bitte der 500 Bürger der Stadt und der 4000 Untertanen des Kammer-Amts Crailsheim um allergnaedigste Beruhigung über die sich verbreitenden Gerüchte von Vertauschung der fraenkischen Provinzen

Allerdurchlauchtigster großmaechtigster Koenig, allergnaedigster Koenig und Herr!
[...]
Nun aber verbreitet sich von allen Seiten her ein Gerücht, welches uns nicht blos in augenblikliche und also in vorübergehende Beunruhigung und Besorgniß, sondern in wahre Beaenstigung versezt, nemlich das Gerücht:
von einer im Werke seyenden Vertauschung oder Abtretung der fraenkischen Fürstenthümer.
Schon der Gedanke an die Moeglichkeit eines solchen uns erwartenden Ereignisses sezt uns in die baengste Furcht, wenn er auch, wie wir zuversichtlich hoffen und wünschen, nur von solchen, welche uns unser bisher genossenes beneidenswertes Glük misgoennten, ausgebrütet und also von aller Wahrscheinlichkeit entbloeßt ist.
Nein, unser so innigst verehrter Landes-Vater, der mit seiner erhabenen Gemahlin schon oefters mit sichtbarem Wohlgefallen und zutrauensvoll unter uns zu verweilen geruhte, kann und wird sich nicht freywillig und ungezwungen – und welche Macht von Europa kann Preußens Koenig und Preußens furchtbares Kriegsheer zwingen? – von uns, seinen Kindern, von einem Volke trennen, welches Allerhoechstdenselben mit der reinsten Liebe und unerschütterlichen Treue und Anhaenglichkeit verehrt, welches seit so vielen Jahrhunderten unter dem milden Scepter der Fürsten vom Hauße Brandenburg blühte, welches sich seit so vielen Jahrhunderten durch Treue gegen seine Beherrscher auszeichnete und nie sich einer Empoerung, nie einer Treulosigkeit gegen sie schuldig machte; kann und wird sich nicht trennen von dem Stammlande Allerhoechstseiner durchlauchtigsten Vorfahren.
[...]
Das aber, worauf wir mit Recht stolz zu seyn glauben, worinn wir mit jeder Provinz des Koenigreichs kühn wetteifern, ist unsere unerschütterliche Liebe und Anhaenglichkeit an Koenig, Vaterland und Verfassung.
Aber gerade diese unsere Liebe macht uns besorgt, gerade dieses unser so ausgezeichnetes Glük macht uns bange wegen der Moeglichkeit, es vielleicht verlieren zu koennen. Darum wagen wir es in liebster Ehrfurcht unmittelbar Eur. Koenigliche Majestaet um baldige Beruhigung wegen dieser unsrer groeßten Besorgniß, um die unschaezbare landesväterliche Zusicherung: „Ihr bleibt auch ferner meine lieben Kinder“ alleruntertaenigst anzuflehen.

Crailsheim, den
3n Februar 1806

alleruntertaenigste:
Namens der Stadt Crailsheim
Stock, Bürgermeister
Schöppler, Rieger, Haug, Gros, Viertelmeistern
usw.


Erschienen im Hohenloher Tagblatt vom 20. Mai 2006

Autor Folker Förtsch