Der Versuch einer Crailsheimer Konkurrenzzeitung während der Revolution 1848-50
Die frühen Zeitungen in Form der Amts- und Intelligenzblätter waren noch keine Zeitungen im heutigen Sinne mit umfassender Berichterstattung zu den aktuellen Geschehnissen aus Politik, Wirtschaft, Gesellschaft und Kultur. Sie enthielten stattdessen fast ausschließlich amtliche und private Bekanntmachungen. Im Zeitalter der Restauration nach den Napoleonischen Kriegen (ab 1819) waren politische Artikel verboten, alle Veröffentlichungen unterlagen der Zensur.
Dies änderte sich erst mit der Revolution von 1848, als die Pressefreiheit („Preßfreiheit“) nicht nur zu den zentralen Forderungen der bürgerlichen Revolutionäre gehörte, sondern auch überall neue Zeitungen aus dem Boden sprießten. Auch in Crailsheim gab es den Versuch, neben dem amtlichen Amts- und Intelligenzblatt eine Konkurrenzzeitung zu etablieren: Von August bis September 1848 erschien unter dem programmatischen Titel „Die Freie Presse. Ein Volks-Blatt für Wahrheit, Recht und Volksbildung“ eine zweites Presseorgan für die Stadt und ihr Umland; ihm folgte von Juli 1849 bis Februar 1850 „Der Freie Staatsbürger“. Verantwortlich für beide Zeitungen war der Rechtskonsulent Friedrich Kopp, der führende Kopf der Revolution in Crailsheim.
Friedrich Kopp wurde 1817 als Sohn eines Wundarztes in Blaufelden geboren. Ab 1829 war die Familie in Crailsheim ansässig und Kopp besuchte hier die Lateinschule. 1836 begann er ein Studium der Bergwissenschaft in Tübingen, zwei Jahre später wechselte er zu den Rechtswissenschaften. Über seine Studienzeit gibt u.a. das Tübinger „Straf-Buch der Studierenden“ Auskunft. Danach muss Kopp ein ziemlich aufsässiger Student gewesen sein, ein wahrer „Revoluzzer“: Insgesamt zehn Mal wurden Strafen gegen ihn verhängt, u.a. wegen „Tragens verbotener Farben“, „unanständigen Benehmens gegen einen Polizei-Soldaten“ und „Trunkliebe und Händelsucht“.
Aber Kopp war offensichtlich auch in der Lage, Menschen für sich einzunehmen und von seinen (politischen) Vorstellungen zu überzeugen. Als er Anfang 1847 nach Crailsheim zurückkehrte, gewann er schnell eine führende Stellung im Bürger- und Gewerbeverein. Aber erst mit Beginn der Revolution im März 1848 wurde er vorübergehend zu der führenden Persönlichkeit im politischen Leben Crailsheims: Er trat an die Spitze der revolutionären Bewegung in der Stadt, organisierte öffentliche Volksversammlungen, verfasste die Crailsheimer Revolutionsforderungen an den württembergischen König – und wurde zum Herausgeber der Crailsheimer Revolutionszeitung.
Im April 1848 bemühte sich Kopp um die Erteilung der Konzession für „Die Freie Presse“. Seine Motivation brachte er dabei klar zum Ausdruck. Es ging ihm um die öffentliche Diskussion „politischer wie nicht politischer Gegenstände“ und um Volksaufklärung: „Veranlasst ist dieses Unternehmen durch die wirklich unbegreifliche Unwissenheit, in der sich das Landvolk befindet. Zwar besteht hier bereits ein sogenanntes Wochenblatt; allein dasselbe leistet in angegebener Richtung lediglich Nichts u. kann auch nicht als Organ zu gedachtem Zwek benützt werden, indem sein Herausgeber (=Stüber; Anm. d. Verf.) weder die nöthige Intelligenz, noch Kenntniß, noch Muth besitzt.“
In der ersten Ausgabe der neuen Crailsheimer Zeitung formulierte Kopp deren Zielsetzung („Was wir wollen“) als Aufklärungs- und Kampfblatt: „ Wir wollen die Schäden unserer öffentlichen Zustände in Gemeinde, Kirche und Staat an Beispielen nachweisen, mit vollem Lichte beleuchten, wir wollen aber auch Mittel und Wege zu ihrer Abhilfe angeben, wir wollen das Volk über seine Interessen, die Ideen der Jeztzeit aufklären, wir wollen es wach erhalten, daß es sich nicht wieder in den alten Schlummer einlullen läßt. (...). Es gilt den Teufel der Tyrannei auszutreiben und dem Engel der Freiheit Wohnung bei uns zu bereiten. Es gilt, der bereits wieder ihr Haupt erhebenden Reaction den Schädel einzutretten.“
Schon nach sieben Ausgaben musste das Erscheinen der „Freien Presse“ eingestellt werden. Grund war der Erfolg Kopps bei der Landtagswahl im Mai 1848. Als Vertreter Crailsheims wurde der streitbare Rechtsanwalt und Zeitungsherausgeber in das württembergische Abgeordnetenhaus („Revolutionsparlament“) gewählt und damit eine Weiterführung seiner Zeitung zunächst nicht möglich. Erst als Kopp 1849 aus der Abgeordnetenkammer ausgeschieden war, konnte das Presseorgan wieder aufgenommen werden, nun unter dem neuen Namen „Der Freie Staatsbürger“. Während „Die Freie Presse“ im Lithografie-Verfahren aufwändig vervielfältigt wurde und in handschriftlicher Form erschien, stand Kopp nun eine richtige Druckpresse zur Verfügung.
Insgesamt 60 Nummern des „Freien Staatsbürgers“ wurden zwischen Juli 1849 und Februar 1850 veröffentlicht, prangerte Missstände an, betrieb staatsbürgerliche Aufklärung und begleitete das politische Leben in Württemberg und Crailsheim. Am 22. Februar 1850 erschien die Zeitung zum letzten Mal. „Wegen Mangel an einer setzenden und druckenden Kraft“ musste sie eingestellt werden. Zwar hatte Kopp mit dem jüdischen Buchdrucker Hermann Meyer, einem gebürtigen Crailsheimer, eine Fachkraft präsentiert, die die Druckerei hätte übernehmen können, sein Konzessionsgesuch war von den Aufsichtsbehörden jedoch abgelehnt worden – offiziell, da „ein örtliches Bedürfniß“ nicht vorhanden sei. Man wird nicht allzu falsch liegen, wenn man den Staatsorganen unterstellt, dass sie damit eine günstige Gelegenheit ergriffen, um eine kritische Stimme endgültig zum Schweigen zu bringen. Denn die revolutionäre Bewegung, ohne die es Kopps Zeitungsprojekt wohl nicht gegeben hätte, war längst unter dem Einsatz preußischer Bajonette niedergeschlagen worden.
Erschienen im Hohenloher Tagblatt vom 28. November 2013
Autor Folker Förtsch