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Heimatforscher Isidor Fischer

Erinnerung an einen fast vergessenen Heimatforscher

Isidor Fischer (1891-1961)
Isidor Fischer (1891-1961)

Isidor Fischer zum 120. Geburtstag

Die Sicherung von historischer Überlieferung und die lokalgeschichtliche Forschung im ländlichen Raum leben ganz wesentlich vom Engagement ehrenamtlicher Frauen und Männer. Ohne deren Einsatz wären viele wertvolle geschichtliche Relikte verloren gegangen und wir wüssten heute sehr viel weniger über die Vergangenheit. Einer, der sich um die Geschichte des Altkreises Crailsheim sehr verdient machte, war Isidor Fischer. Er ist nicht nur Hauptverfasser der Kreisbeschreibung von 1953, einem Standardwerk der regionalen Geschichtsliteratur, sondern auch einer der „Retter“ des Crailsheimer Stadtarchivs vor der drohenden Zerstörung 1945. Isidor Fischer wäre in diesen Tagen 120 Jahre alt geworden – Anlass für eine kurze Erinnerung.

Isidor Fischer wurde am 1. Dezember 1891 in Böhmenkirch auf der Schwäbischen Alb als letztes von neun Kindern in die Familie eines Schreinermeisters geboren. Der talentierte Junge wurde nach Beendigung der Volksschule 1897 an die katholischen Gymnasien in Ellwangen (Bischöfliches Konvikt Borromäum) und Ehingen geschickt. Nach der Reifeprüfung begann Fischer das Studium der Theologie in Tübingen. Der junge Mann schien zielstrebig auf eine Zukunft als katholischer Priester zuzusteuern, als der Ausbruch des Ersten Weltkriegs einen Einschnitt in seine Biografie markierte. Im Januar 1915 einberufen leistete Isidor Fischer 36 Monate Frontdienst ab, darunter in den Stellungskämpfen bei Verdun und an der Somme. Zwar legte er während eines Fronturlaubs 1917 noch die 1. theologische Staatsprüfung ab, doch nach der Rückkehr aus dem Krieg kehrte er der Theologie den Rücken und verlegte sich auf neuere Sprachen (Englisch, Französisch, Deutsch).

Isidor Fischer wurde Lehrer und in dieser Funktion kam er 1928 als Studienrat an die Realschule mit Lateinabteilung, der Vorgängerin des heutigen Albert-Schweitzer-Gymnasiums, nach Crailsheim (Spitzname „Is“). Und wie schon an seiner früheren Wirkungsstätte in Geislingen/Steige, wo er mit heimatgeschichtlichen Vorträgen und Veröffentlichungen hervorgetreten war, wurde die Erforschung der lokalen und regionalen Geschichte zu seiner Leidenschaft, in die er unzählige Stunden seiner Freizeit investierte. Erste Veröffentlichungen zur Geschichte der Stadt Crailsheim und ihrer Umgebung entstanden, zunächst vor allem im Bereich der Orts- und Flurnamenforschung, aber etwa auch über den Burgberg, wo er in den 1930er Jahren auch die Ausgrabungen durch die staatliche Altertümersammlung initiierte.

Isidor Fischer (links) und Wilhelm Andrassy (rechts) vom Schwäbischen Albverein vor dem Försterhaus  auf dem Burgberg, ca. 1930.
Isidor Fischer (links) und Wilhelm Andrassy (rechts) vom Schwäbischen Albverein vor dem Försterhaus auf dem Burgberg, ca. 1930.

Überaus groß war in diesen Jahren auch das Engagement Fischers in den örtlichen Vereinen und Institutionen der Heimatpflege: Er war Mitglied des Schwäbischen Albvereins und fungierte dort als Pressewart, er arbeitete aktiv mit im Württembergischen Geschichts- und Altertumsverein, beim Historischen Verein für Württembergisch Franken und beim Crailsheimer Heimat- und Altertumsverein. In den 1930er Jahren war er eingesetzt als ehrenamtlicher Bezirkspfleger des Landesamts für Denkmalpflege sowie als Beauftragter für Naturschutz im Bezirk Crailsheim.
Nach Crailsheim brachte Fischer auch die Idee einer Jugendherberge. Ab 1929 bemühte er sich darum, hier eine entsprechende Einrichtung zu schaffen, im Juni 1932 stand mit dem „Wilden-Mann-Keller“ endlich eine geeignete Örtlichkeit zur Verfügung. Von 1935 bis 1938 fungierte Fischer selbst als Herbergsvater.

1936 wurde Isidor Fischer vom Württembergischen Staatsarchiv auch als Archivpfleger für Crailsheim bestellt. In dieser Funktion hatte er maßgeblichen Anteil an der Rettung eines Großteils des Crailsheimer Stadtarchivs vor der Kriegszerstörung: Ab Oktober 1944 sorgte er nämlich für die Auslagerung des Archivguts aus dem Crailsheimer Rathaus. Teilweise auf einem geliehenen Kuhfuhrwerk transportierten er und seine Tochter Brigitte das wertvolle Material ins Schloss nach Rechenberg. Dort wie auch im Erdgeschoss des Turms der Johanneskirche überstand das papierne Gedächtnis der Stadt Crailsheim das Kriegsende weitgehend unbeschadet.

Nach Kriegsende 1945 war es vor allem Isidor Fischer, der dafür sorgte, dass der Schulbetrieb an der Crailsheimer Oberschule schon im Oktober wieder anlaufen konnte. Bis 1933 Mitglied der katholischen Zentrumspartei, erst 1937 Mitglied der NSDAP und darüber hinaus durch ausgewiesene Regimegegner entlastet, blieb Fischer zunächst als Lehrer im Amt und organisierte in den Monaten Juli bis September 1945 die notwendigen Arbeiten zur Wiedereröffnung der Schule. Anfang 1946 wurde er auf Befehl der Militärregierung doch noch amtsenthoben. Ihm wurde vorgeworfen, eine Führungsposition in der SA (Scharführer) bekleidet zu haben. Der Vorwurf ließ sich bald entkräften: Fischer war als Scharführer des „Stahlhelm“-Bundes mit diesem im Oktober 1934 kollektiv in die SA-Reserve überwiesen worden und führte dort nominell diesen Rang weiter. Schon auf 1. Januar 1935 war er aus der SA wieder ausgetreten. Dennoch dauerte es fast 18 Monate, bis Studienrat Fischer wieder in den Schuldienst aufgenommen wurde. Und er kam nicht an die Crailsheimer Schule zurück, sondern an die Oberschule für Jungen nach Hall, eine Entscheidung, die Fischer als „Strafversetzung“ erlebte.

Dass Isidor Fischer im Herbst 1949 wieder nach Crailsheim zurückkehrte, hatte mit einem Projekt zu tun, das er in dieser Zeit im Auftrag des Statistischen Landesamtes und des Landratsamtes in Angriff genommen hatte: die Kreisbeschreibung Crailsheim – das Werk, das neben der Rettung des Archivs Fischers bleibende Verdienste für Crailsheim begründet. Über vier Jahre verbrachte er jede freie Minute in Archiven in Nah und Fern und trug mit großer Akribie alle verfügbaren Belegstücke für sämtliche Gemeinden des Kreises zusammen – eine unglaubliche Fleißarbeit. Auf annähernd 350 eng beschriebenen Seiten präsentierte er in der fertigen Kreisbeschreibung 1953 diese Datenfülle dem Leser und schuf damit ein Nachschlagewerk allererster Güte, das auch heute noch für die Bearbeitung von Ortsgeschichten im Altkreis Crailsheim unverzichtbar ist.

1957 in den Ruhestand getreten starb Isidor Fischer am 4. Juli 1961 im Alter von 69 Jahren in seiner Wohnung in der Ludwigstraße in Crailsheim.


Erschienen im Hohenloher Tagblatt vom 7. Dezember 2011

Autor Folker Förtsch