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Südweststaat

Abstimmungskampf zum Südweststaat ohne große Resonanz

In vielen Regionen des deutschen Südwestens, vor allem in Baden, führte sie zu heftigen Auseinandersetzungen – in Hohenlohe und auch im Landkreis Crailsheim-Gerabronn war es ein Thema, das niemanden sonderlich bewegte: die Diskussion um die Schaffung des Landes Baden-Württemberg. Wie in allen württembergischen Gebieten gab es eine gewaltige Mehrheit für den Südweststaat - bei einer allerdings sehr geringen Wahlbeteiligung.

Der Kommentator des Hohenloher Tagblatts brachte es in der Ausgabe vom 14. September 1950 auf einen Nenner: Wir wollen uns nichts vormachen – es ist hier doch so, dass kein Mensch viel Interesse für diese innerstaatliche Regelung aufbringt. Sie ist einfach nicht populär und vor allem nicht aktuell genug, als dass sie erregte Debatten und Meinungsverschiedenheiten hervorrufen könnte. Die seit 1948 laufenden politischen Verhandlungen und öffentlichen Auseinandersetzungen über die Neuregelung der territorialen Zustände in Südwestdeutschland fanden in der politischen Szene des Landkreises Crailsheim nur sehr geringen Widerhall. Von dem leidenschaftlichen Ringen um das Votum der Bürgerinnen und Bürger, das die Situation vor allem in den badischen Gebieten kennzeichnete, war nichts zu spüren. Die Menschen hatten andere Sorgen und befanden sich weitab von den Brennpunkten der „Schlacht“. Und im Unterschied zu vielen Badenern, die durch Befürchtungen vor einer Majorisierung ihres Landesteils durch die größere Bevölkerung und die stärkere Steuer- und Wirtschaftskraft Württembergs zu teilweise heftigem Widerstand gegen den schwäbischer Imperialismus angespornt wurden, war dies für die Crailsheimer und Gerabronner – Württemberger seit 150 Jahren - kein Thema. Sie erlebten, das sei nur nebenbei bemerkt, einen vergleichbaren Kampf um die eigene Stellung und Identität zwanzig Jahre später im Zusammenhang mit der Kreisreform und der Verlegung des Kreissitzes nach Schwäbisch Hall.

Stimmzettel für die Probe-Abstimmung am 24. September 1950
Stimmzettel für die Probe-Abstimmung am 24. September 1950

Erst wenige Wochen vor der geplanten Volksbefragung vom 24. September 1950, die die Stimmung in der Bevölkerung testen sollte, lassen sich lokale Initiativen auch im hiesigen Raum feststellen: Es gründete sich ein Aktionsausschuss für den Kreis Crailsheim, der sich Aufklärung und Werbung für den Südweststaat auf seine Fahnen schrieb. Ihm gehörten neben den großen Parteien (CDU, DVP/F.D.P. und SPD) auch der Kreisbauernverband und die Gewerkschaften, später auch die Vertriebenenverbände, die Kreishandwerkerschaft und die Frauenarbeitsgemeinschaft an. Unter dem Motto „Der Südweststaat geht auch den Kreis Crailsheim an“ führte er einige Versammlungen in den größeren Gemeinden des Landkreises durch. Die dort vorgetragenen Argumente für den Südweststaat lauteten im wesentlichen: Die Zusammenlegung der drei bestehenden Staaten Württemberg-Baden, Württemberg-Hohenzollern und (Süd-)Baden bringe eine begrüßenswerte Verwaltungsvereinfachung und damit Kostenersparnis, die sich für jeden Bürger positiv auswirke. Sie verbessere die Perspektiven der südwestdeutschen Industrie und Landwirtschaft. Die Entscheidung für ein einheitliches Land stärke zum Vorteil seiner Einwohner auch die Stimme des Südwestens im Konzert der deutschen Bundesländer. Außerdem wäre sie das Startsignal für die notwendige Revision aller Ländergrenzen im Bundesgebiet mit dem Ziel, größere und finanziell gesunde Länder zu schaffen.

Dem Argument der sinkenden Verwaltungskosten widersprach ein Leser aus Gerabronn – übrigens die in der Region einzige öffentlich geäußerte kritische Stimme zum Südweststaat im Hohenloher Tagblatt dieser Jahre: Es habe sich seit Kriegsende in Württemberg-Baden eine großspurige Verwaltung etabliert und es stehe zu befürchten, dass sie im größeren Land noch großspuriger werde. Auch sei abzusehen, dass auf das wirtschaftlich gesunde Württemberg angesichts der maroden Situation in (Süd-)Baden zunächst hohe finanzielle Opfer zukommen.

Jedoch die kritischen Stimmen blieben auch bei der Abstimmung vom 24. September 1950 in deutlicher Minderzahl. Im Kreis Crailsheim votierten über 93% der abstimmenden Bürger für den Südweststaat, bei einer allerdings sehr geringen Wahlbeteiligung von knapp über 36%. Damit gehörte Crailsheim zu den sechs Kreisen mit der niedrigsten Abstimmungsquote. Am höchsten von allen Kreisgemeinden war sie in Simprechtshausen ausgefallen, dort hatten 67% abgestimmt, in Gerabronn waren es 53% und in der Stadt Crailsheim 49%. Am schwächsten war die Beteiligung in Leukershausen mit unter 12%. Auch in Ellrichshausen, Leuzendorf, Mariäkappel und Matzenbach hatte nicht einmal jeder fünfte Wahlberechtigte den Weg ins Wahllokal gefunden.

Aufruf der Parteien und Verbände des Landkreises Crailsheim-Gerabronn zur  Volksabstimmung am 9. Dezember 1951
Aufruf der Parteien und Verbände des Landkreises Crailsheim-Gerabronn zur Volksabstimmung am 9. Dezember 1951

Die Ergebnisse der Volksbefragung bestätigten sich bei der eigentlichen Volksabstimmung am 9. Dezember 1951. Die Wahlbeteiligung lag hier sogar um einiges höher, nämlich bei kreisweit knapp 43%. Positiven Einfluss hatte sicherlich auch die Verschiebung der Abstimmung, die ursprünglich am 16. September, dem Volksfestsonntag, stattfinden sollte. Sie war durch die Verfassungsbeschwerde (Süd-)Badens gegen den Abstimmungsmodus – übrigens die erste Entscheidung des kurz zuvor konstituierten Bundesverfassungsgerichts - notwendig geworden. Die Zustimmung zum Südweststaat war noch einmal gestiegen auf jetzt 94,5%. Der Kreis Crailsheim lag damit bei der Zustimmungsquote hinter Ulm-Land (95,9%), Heilbronn-Stadt (95,8), Künzelsau (95,7%), Ulm-Stadt (95,5%), Öhringen (94,9%) und Schwäbisch Hall (94,8%) an siebter Stelle aller baden-württembergischen Kreise.


Hohenloher Tagblatt vom 25. April 2002

Autor Folker Förtsch